Robert Linhart weiß, dass er nicht mehr lang am Leben sein wird.

Foto: thimfilm

"Die Leute sollen sich mehr selber mögen, dann mögen sie auch die anderen mehr." Wenn Robert Linhart eins im Leben gelernt hat, dann das. Der 53-jährige Wiener leidet an unheilbarem Lungenkrebs und weiß, dass ihm nur noch wenig Zeit bleibt. Im Dokumentarfilm "Ein Augenblick Leben" begleitet Regisseurin und Psychotherapeutin Anita Natmeßnig den letzten Weg des Sterbenden, über drei Monate lang.

Schatten am Röntgen

Am Anfang steht seine Entlassung aus dem CS Hospiz Rennweg in Wien. Linhart hat sich dort so gut erholt, dass er in die mobile Palliativbetreuung nach Hause entlassen wird. Er blickt etwas wehmütig zurück auf die Zeit, in der um ihn gesorgt wurde, ist aber entspannt. "Schauen wir, dass wir noch möglichst lang einigermaßen gut leben", sagt er zum Abschied von seinem Zimmergenossen, der schon im Sterben liegt.

An schwerer COPD (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung) litt der jahrzehntelange Raucher schon lange, bei einer Routineuntersuchung entdeckte der Arzt schließlich einen Schatten auf dem Lungenröntgen. Linhart wurde an die Onkologie überwiesen. Nach der Diagnose Lungenkrebs ging alles ganz schnell: Drei Monate später hatte er schon 20 Kilo verloren und drei Metastasen im Gehirn. Man sieht ihm die Krankheit regelrecht an - er wirkt deutlich älter als Anfang 50. "Krebs ist eine Form der Autoaggresion. Wenn man sich jahrzehntelang selber nicht mag, manifestiert sich das leicht", sagt Linhart.

"Nicht viel versäumt"

Er war Zeit seines Lebens ein Einzelgänger und nie wirklich glücklich, erzählt Linhart. "So schön war mein Leben nicht. Wenn ich in absehbarer Zeit sterbe, hab ich nicht viel versäumt", sagt der ehemalige Nachrichtentechniker, mittlerweile zurück in seiner winzigen Wohnung in Wien-Simmering. Er hatte nie Familie, auch keine fixe Freundin, sondern konzentrierte sich auf das Leben im Hier und Jetzt, auf Musik, Drogen und Frauen. Ein "bissi verlossn" fühle er sich schon, allein in seiner dunklen und vollgeräumten Wohnung. Immerhin ruft seine Mutter täglich an.

Viele Wünsche hat er nicht mehr, eigentlich gar keinen. Die STS-Songzeile "Ich müsste 1.000 Jahre alt werden, um das zu tun was ich will", hätte er früher sicher unterschrieben. Das hätte sich mittlerweile aber gelegt. "Nochmal Chemotherapie oder gleich aufs Sterben warten? Das ist die Frage." Die sich ihm aber gar nicht mehr stellt: Dass der Tod unausweichlich und unaufschiebbar kommt, ist ihm genauso klar wie dem Zuschauer.

Begegnung auf Augenhöhe

Der Film, eigentlich vor neun Jahren gedreht und als Nebenprodukt von Natmeßnigs Dokumentarfilm "Zeit zu gehen" (2006) entstanden, finden einen guten Rhythmus, nimmt sich genug Zeit und begegnet Linhart auf Augenhöhe. Mithilfe alter Fotos und Dias, lässt er ausgewählte Stationen seines Lebens Revue passieren.

Wirkliche Höhepunkte gibt es da aber wenige. "Meine schönste Erinnerungen? Schiurlaub, tiefblauer Himmel, herrlich klare Luft." Danach lange Pause, mehr fällt ihm ad hoc nicht ein. "Weiß nicht, ich hab mir die schönen Dinge offenbar nicht so gemerkt." Nachsatz: "Auch der erste Kuss oder das erste Mal mit einer Frau ins Bett zu gehen - das ist schön".

Auch wenn man der Person Robert Linhart über anderthalb Stunden begleitet, so richtig lernt man ihn nicht kennen. Auch nah fühlt man sich ihm nie - obwohl er sehr offen über seine Gefühle und seine Vergangenheit erzählt. Eine gewisse Distanz bleibt aber. Exemplarisch dafür sein vielleicht doch noch letzter Wunsch (neben einer Kreuzfahrt und einem letzten Mal Motorradfahren), der etwas befremdlich wirkt: Er will zusehen, wie eine 17- oder 19-Jährige im Drogenrausch über den Strand "wackelt" - "das wäre der ultimative Traum." Findet er doch, dass es "eine beträchtliche erotische Komponente" hätte, Frauen schwach und berauscht zu sehen.

Nachdenken übers Leben

Immer wieder lockern monotone U-Bahn-Fahrten über die Donau und innere Monologe der Regisseurin den Film auf. Letztere sind leider gar esoterisch-verschwurbelt geraten und wären gar nicht nötig. Der Film entfaltet seine Wirkung auch so und lässt einen ins Nachdenken kommen, wie man wohl selbst die Frage nach den schönsten Erinnerungen des eigenen Lebens beantworten wird. Manch scheinbar Wichtiges wird da schnell nebensächlich.

Am Ende geht es dann schnell: Nach einem Zeitsprung von wenigen Wochen sieht man Linhart, merklich gealtert, aber immer noch an der Zigarette hängend. Die Haare sind mittlerweile weiß, der Husten böser denn je. Bei Problemen im Leben hätte er immer gewartet, bis sich die Dinge von selbst erledigen. So ist es auch jetzt, ein letztes Mal. Nach einem letzten Dialog mit der Regisseurin und einem versöhnlichen Schluss ist das Warten vorbei. Sein Appell an die Nachwelt? "Liebe Leute, rauchts nicht, und habts euch selber lieb." (Florian Bayer, derStandard.at, 31.10.2014)