Es ist kalt geworden in Dnepropetrowsk, der Millionenstadt 400 Kilometer südöstlich von Kiew. Die Wahlkampfhelfer vor dem Zentralen Warenhaus ZUM haben sich dick eingepackt, verteilen aber trotzdem eifrig Handzettel. Mit Nachschub an Agitationsmaterialien versorgen sie sich in den zahlreich aufgebauten Wahlkampfzelten entlang der Hauptstraße, die immer noch Karl-Marx-Allee heißt.
Natürlich wirbt die aus Dnepropetrowsk stammende Julia Timoschenko um Wählerstimmen in ihrer Heimat. "Sieg der Ukraine", lautet der Wahlslogan, doch zu einem Sieg ihrer Partei wird es nicht reichen: Zu viele Politiker haben ihre Losungen und ihren Populismus übernommen. Es wird eng auf dem Flügel. Die Umfrageergebnisse schwanken, einige Meinungsforschungsinstitute sehen ihre Partei "Batkiwtschina" ("Vaterland") bei über zehn Prozent, andere sagen dem Vaterland sogar das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde voraus.
In jedem Fall wird die Ex-Premierministerin von neuen Kräften übertrumpft. Allen voran vom Block Petro Poroschenko, der voraussichtlich als stärkste Kraft ins neue Parlament einziehen wird. In Dnepropetrowsk sind die Wahlkampfhelfer des Milliardärs am auffälligsten: Gleich mehrere Direktkandidaten seiner Partei haben ihre Zelte vor dem ZUM aufgebaut, sie hoffen nicht nur auf ein gutes Parteiergebnis, sondern auch auf eines der 225 Direktmandate in der Rada. Die Bühne für das abendliche Konzert und den letzten Wahlkampfauftritt der Poroschenko-Getreuen steht schon bereit.
Einfache Parolen
Juri wird dennoch nicht für Poroschenko stimmen, keiner der etablierten Parteien kann er etwas abgewinnen. "Die waren doch alle schon an der Macht, was haben sie denn da für uns getan", fragt er. Die Frage ist rhetorisch, Juri beantwortet sie selbst: "Seit zwölf Jahren wurde in unserem Haus der Fahrstuhl nicht repariert, dabei sind das neun Stockwerke. Auch im Hof werden die Schlaglöcher von Jahr zu Jahr nur größer."
Juri ist im Pensionistenalter, doch um über die Runden zu kommen, fährt er Taxi. Er klagt über miese Renten, steigende Preise und hohe Korruption und will für den Rechtspopulisten Oleh Ljaschko stimmen. "Ljaschko ist neu und gegen die Oligarchen", begründet er seine Wahl. Dass hinter dem polternden Politiker mit den einfachen Losungen dem Vernehmen nach ebenfalls ein Oligarch steht, blendet Juri dabei aus. Es ist wohl die Einsicht, dass sich in der Ukraine etwas ändern muss, und die Hoffnung, dass der Neue mit den radikalen Parolen die Probleme besser in den Griff bekommt als die alte Garde, die viele Ukrainer bei der Wahl weit nach rechts driften lassen. (André Ballin aus Dnepropetrowsk, DER STANDARD, 25.10.2014)