Mit Liebe versuchen manche in Ferguson, zur Normalität zu finden.

Brian Fletcher weiß, was Ferguson im Moment am dringendsten braucht: Mut und Zuversicht und Liebe. Ein rotes Herz in der Mitte, davor "Ich", dahinter "Ferguson"- das Poster soll signalisieren, dass die Bewohner ihre Stadt lieben, dass sie kämpfen für ihren Ruf, mag der Rest der Nation auch den Kopf schütteln über Gummigeschoße und Tränengas.

Bis 2011 war Fletcher der Bürgermeister, sein Porträt hängt im Rathaussaal, der mit seinen Flaggen und Wappen so prächtig wirkt. Doch von außen lässt das Gebäude mit der verwitterten Ziegelfassade eher an eine vernachlässigte Fabrikhalle denken. Als Ferguson brannte, lag er in einer Klinik, um sich Stents in die verengten Herzkranzgefäße setzen zu lassen. "Es waren verdammt harte Wochen", sagt der Schwergewichtige. "Wir werden beweisen, dass Ferguson nicht so schlecht ist."

Aufgebrachte Bürger

Als William B. Ferguson der North Missouri Railroad Company 1855 ein Stück Land vermachte, knüpfte er es an die Bedingung, dass Züge dort halten sollten. So entstand eine Siedlung. Ein künstlicher Wasserfall am Bahndamm soll Parkatmosphäre vermitteln, es ist die schönere Seite der Stadt, das Gegenstück zur West Florissant Avenue drei Kilometer weiter, wo der Polizist Darren Wilson den schwarzen Teenager Michael Brown erschoss.

Im Rathaus fuchtelt Drew Candy mit dem Smartphone. "Alles gespeichert, ich kann alles nachweisen", ruft er und erzählt von seinen Videos, von rüden Beamten, die auch harmlose Demonstranten umherschubsten, bevor sie sie mit Kabelbindern fesselten. "Sie haben doch die Verantwortung! Mein Gott, wie ich mich schäme für Sie!" Sechs Stadträte sitzen am Tisch, fünf Weiße, ein Schwarzer, in der Mitte Bürgermeister James Knowles III. Ihnen gegenüber die Menge. In allen Ecken sind Polizisten platziert.

Vermittlungsversuche

Bernie Frazier nutzt ihre 120 Sekunden Redezeit, um die "Kids", wie sie die Freunde Mike Browns nennt, zur Vernunft zu rufen: "Eure Fäuste gewinnen nichts! Lasst uns reden!" Als Nächstes knöpft sie sich die Polizei vor. Proteste abzuwürgen gehe nicht: "Auch Jesus war ein Protestler. Wenn ihr für Jesus seid, könnt ihr nicht gegen Proteste sein!"

Frazier überlegt, selbst fürs Bürgermeisteramt zu kandidieren. Im Gespräch mit dem Standard wird die Personalberaterin deutlich: Die Polizei habe nicht nur Salz in die Wunde gestreut: Sie habe das Salz hineingepresst. Es werde dauern, bis diese Wunden heilen.

Weitere Gewalt nicht ausgeschlossen

Noch ist unklar, ob der Kessel ein zweites Mal explodiert; etwa wenn Wilson nicht vor Gericht gestellt wird. Missouris Gouverneur Jay Nixon lässt eine Expertenkommission untersuchen, wieso die Gräben zwischen Arm und Reich, zwischen Schwarzen und Weißen breiter klaffen als irgendwo sonst in den USA - eine Phase kollektiven Grübelns hat begonnen.

Anthony Gray ist der Anwalt der Eltern Michael Browns: "Ich bin selber in einem Viertel mit hoher Kriminalität aufgewachsen. Da kommt keiner durch seine Jugend ohne ein paar Flecken auf der Weste." Einen wie ihn hätte die Polizei gar nicht genommen. Kleine Delikte enden oft mit Haft.

Steve Runge, der die Polizei in der Nachbarstadt Charlack leitet, gibt mit lockeren Sprüchen das Kontrastprogramm zu aggressiven Cops: "Wir sind keine John Waynes", sagt er und erzählt von den Baseball- und Footballwimpeln, die er verteilt, um Spannung abzubauen. Dennoch stößt er auf Skepsis: "Officer, Sie waren doch im Einsatz, als wir auf die Straße gingen", ruft Jeanelle, eine aus Browns Freundeskreis. "Ich stand in vier Nächten mitten im Tränengas. Wieso haben Sie damals nichts dagegen getan?" So einfach ist es nicht mit der Versöhnung. (Frank Herrmann aus Ferguson, DER STANDARD, 25.10.2014)