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Handys statt Kerzen: Tausende Ungarn demonstrierten am Sonntag gegen Pläne der Regierung, Online-Datenverkehr zu besteuern.

Foto: ap/Beliczay

Mehr als zehntausend empörte Menschen demonstrierten am Sonntagabend in Budapest gegen die neueste Idee des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán: die Besteuerung des Datenverkehrs im Internet. Einige hatten selbstgemachte Transparente mitgebracht, Europafahnen und die alte republikanische ungarische Fahne, ohne Stephanskrone in der Mitte. Sie hielten ihre iPhones hoch und erzeugten ein Lichtermeer. Sie riefen: "Wir lassen es nicht zu!" und "Orbán, hau ab!"

Der Rechtspopulist Orbán hatte diesmal den blanken Nerv der jungen, urbanen Klasse getroffen. Mit 27 Prozent auf alles - so auch die Internetabos - hat Ungarn den höchsten Mehrwertsteuersatz in Europa. Ab 2015 sollen die Internetdienstleistungen darüber hinaus noch mit einer Abgabe von 150 Forint (0,49 Euro) pro Gigabyte Datenverkehr belastet werden. So sieht es eine Gesetzesvorlage vor, die Wirtschaftsminister Mihály Varga am letzten Dienstag im Parlament eingereicht hat und die heute, Dienstag, in der Volksvertretung erörtert werden soll.

Mehreinnahmen von 20 Milliarden Forint

Orbán brauche das Geld - geschätzte Mehreinnahmen von 20 Milliarden Forint im Jahr -, um seinen Polizisten und Steuerbeamten höhere Gehälter zahlen zu können, wie das Internetportal hvg.hu erfahren haben wollte. Dabei ist gerade auf die Steuerbehörde in den letzten zehn Tagen der hässliche Verdacht der Korruptionsbegünstigung gefallen.

Die USA hatten - was unter Nato-Partnern höchst ungewöhnlich ist - Einreiseverbote über sechs hohe ungarische Regierungsvertreter verhängt, weil sie in korrupte Vorgänge zum Schaden amerikanischer Firmen verstrickt gewesen sein sollen. Unter den sechs sollen auch die Leiterin der Steuerbehörde, Ildikó Vida, und zwei ihrer Stellvertreter sein.

"Urlaubsreise"

Vida hat das bislang weder bestätigt noch dementiert. Ein Team des ungarischen Privatfernsehsenders RTL Klub hatte sie am letzten Mittwoch auf dem Flughafen Wien-Schwechat aufgestöbert. Auch da sagte sie nur gereizt, dass sie eine "Urlaubsreise" antrete. Am Montagvormittag soll sie nach Medienberichten noch nicht wieder in ihrem Amt aufgetaucht sein.

Storyful, Szabó Csaba

Den Protest am Sonntagabend befeuerten auch diese Skandale. Die junge, internetaffine Schicht in Ungarn fühlt sich dem Westen zugehörig, und sie ist entschieden gegen den Kurs Orbáns, der sein Land immer enger an das autoritäre Russland bindet. Die Demonstration war zügig und effizient organisiert worden. Nach Bekanntwerden der Steuerpläne gründete sich eine Facebook-Gruppe mit dem Namen "Hunderttausende gegen die Internetsteuer". Sie hatte zu der Kundgebung am Sonntag aufgerufen. Mehr als 200.000 Menschen haben inzwischen die Gruppe "gelikt".

Werfen mit Elektroschrott

Ursprünglich wollte man vor den Sitz der Orbán-Partei Fidesz im sechsten Stadtbezirk ziehen und dort mitgebrachten Elektroschrott niederlegen. Doch die Polizei genehmigte nur einen Umzug bis zum nahegelegenen Heldenplatz. Nach Ende der Kundgebung zog dennoch eine Gruppe von Demonstranten vor das Fidesz-Haus und bewarf es mit Elektroschrott. Unter sie mischten sich Fußballhooligans. Diese stürmten schließlich das Gebäude und verwüsteten einige Büros. Die Polizei, die nicht einschritt, nahm schließlich aufgrund von Videoaufnahmen sechs der Randalierer fest.

Die Fidesz-Parlamentsfraktion verurteilte die Gewalt gegen den eigenen Parteisitz, kündigte aber zugleich an, den Gesetzesentwurf abändern zu wollen. Demnach soll die Internetabgabe mit 700 Forint pro Monat und Nutzer "gedeckelt" werden.

Die Bewegung gegen die Internetsteuer wird sich damit nicht zufriedengeben. Die Demonstranten verlangen die vollständige Rücknahme der Steuer. Für heute, Dienstag, haben sie zu neuen Protesten aufgerufen. (Gregor Mayer aus Budapest, DER STANDARD, 28.10.2014)