Heute Dienstbeginn im HSYK, dem Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte in Ankara, Türkei. Wind scharf aus Südsüdwest, von Cankaya (Präsidentenpalast) nach Beşevler (HSYK) blasend. 14 Grad, stark bewölkt. Vier Frauen, 18 Männer, neu gewählt, nehmen Platz am Tisch des Rats, um die Geschicke der rechtssprechenden Staatsgewalt in den nächsten vier Jahren zu leiten. Es gibt wie immer - seit der Putschverfassung 1982 - eine leichte Überlappung mit der ausführenden Staatsgewalt, der Exekutive, weil Justizminister und Vizeminister auch mit am Tisch sitzen, sogar in etwas hervorgehobener Position, weil den HSYK auch gleich präsidierend.

Das schaut nicht so schön aus wegen der Trennung der Staatsgewalten in einer Demokratie, mögen jetzt manche mäkeln, bei der EU-Kommission und so, aber in der Bartl/Most- und Koch/Kellner-Bewertung ergibt das eine deutliche Effizienzsteigerung bei den personalrechtlichen Fragen für alle Richter und Staatsanwälte, die in der Türkei tätig sind, sowie bei der Zulassung strafrechtlicher Ermittlungen und – oft noch interessanter – bei der Entbindung und Versetzung von Ermittlern in Strafsachen, etwa bei der Untersuchung von Korruptionsvorwürfen gegen Minister und deren Familienangehörige. Für all das ist der HSYK zuständig. Ziemlich viel Holz in einem Land, wo ständig Komplotte gegen Staat und Regierung ausjudiziert und angehende Terroristen samt ihrer Terrororganisationen vor Gericht regelmäßig gestellt werden müssen.

Staatspräsident Tayyip Erdogan hat als letzter seinen Slot für den Hohen Rat gefüllt. Der Präsident durfte vier der 22 Mitglieder des HSYK benennen, die nicht Richter sein sollen. Deren Namen sind Sonntag im Gesetzblatt veröffentlicht worden: zwei Damen, zwei Herren, die der konservativ-islamischen Regierungspartei AKP nahe oder sehr nahe stehen (eine AKP-Stadtverordnete in Istanbul, ein Bruder eines Rechtsberaters der AKP in Ankara, ein früherer Anwalt der AKP-geführten Istanbuler Wasserwerke). Doch das sagt nur die Presse der Gülen-Bewegung, die angefressen ist, weil die Anhänger des islamischen Predigers und einstigen Erdogan-Unterstützers Fethullah Gülen nicht mehr im Hohen Rat untergekommen sind.

Da ging es den Gülenisten allerdings ebenso wie den Kandidaten des oppositionellen Berufsverbands der Richter und Staatsanwälts von YARSAV, der bei den Wahlen im September und Oktober gemeinsam mit der Gewerkschaft der Justizbediensteten (Yargı-Sen) antrat und gleich gar nichts ausrichten konnten. Abgeräumt hat die Plattform der Union im Gerichtswesen (YBP). Sie hat die meisten Stimmen der 14000 Richter und Staatsanwälte bekommen, die wählen konnten, wenn auch mit einem neuen, Zweitplatzierte stark benachteiligenden Wahlsystem; acht der zehn Sitze im HSYK, die auf diese Weise bestimmt wurden, gingen an YBP-Kandidaten; zwei Mitglieder tragen das Etikett „unabhängig“.

Bei den anderen fünf Richtern, die vom Kassationsgerichthof (drei) und Verwaltungsgerichtshof (zwei) nach Wahl entsandt wurden, soll es ähnlich ausschauen. Die 15 gewählten der insgesamt 22 Mitglieder des Hohen Rats gelten als von der Regierung unterstützt; dazu kommen die bereits genannten vier präsidentenfreundlichen Mitglieder, die der Präsident benannt hat; ein Mitglied, das vom Plenum der Justizakademie gewählt wurde, welche nach einer schnellen Gesetzesänderung Anfang des Jahres neu besetzt und dem dem Justizminister noch näher gerückt wurde, sowie der Justizminister und Vize selbst, welche naturgemäß den Willen von Regierung und Präsident ausdrücken. Macht demnach 22 Erdogan-freundliche bis -treue von 22 Mitglieder im Hohen Rat der Richter und Staatsawälte. Damit kann man arbeiten. (Markus Bernath, derStandard.at, 27.10.2014)