Verschlungene Recherchen nach Zeichen für Wandel und Widerstand: Tariq Teguias neuer Film "Thwara Zanj" reflektiert Aufstandsideen zwischen Beirut, Griechenland und dem Kalifat der Abassiden vor tausend Jahren.

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Der algerische Regisseur und "Kartograf" Tariq Teguia.

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Irgendwo im Landesinneren von Algerien steht eine Bauhütte, an deren Wänden Blut klebt. An diesem Ort soll ein Mann namens Malek mit einer Landvermessung beginnen. Doch zuvor muss er erst einmal saubermachen, er muss eine heimische Umgebung schaffen an einem Ort, an dem alles nach Unbehaustheit aussieht. Und der Regisseur Tariq Teguia, der 2008 in Inland (Gabbla) von Malek erzählte, tut auch nichts dazu, die Orientierung in diesem Film leichter zu machen. In schroffen Schnitten treibt er das Geschehen voran, immer wieder tun sich Lücken des Verständnisses auf -, wer in Algerien nicht landeskundig ist, wird es zusätzlich schwer haben, die jeweils implizierte Verbindung zwischen Orten und Geschehnissen zu ziehen.

Das Blut stammt allem Anschein nach von Vorgängern von Malek, die von muslimischen Fundamentalisten, von Terroristen, getötet worden waren. Unweit der Geometerstation verläuft auch eine Grenze, die gewissermaßen den Staat Algerien selbst durchzieht. Würde Malek sie überschreiten, wäre er im Mujahid-Territorium, also auf Feindesland.

Für den Philosophen Jacques Rancière ist Malek eine Figur, die mit ihrem Blick auf das Land die verschiedenen staatlichen und gegenstaatlichen Ideologien durchkreuzt - die des wirtschaftlichen Aufbruchs, die sein Vorgesetzter vertritt; die der polizeilichen Kontrolle, die alles dem Sicherheitsbedürfnis unterordnet; schließlich die eines kartografierenden Kinos, zu dem Tariq Teguia zu zählen ist und das er hier auch gleich wieder in eine Krise stürzt. Denn ein überschaubares Algerien kommt hier nicht zustande, zumal es im Verlauf des Films dann auch noch von Menschen durchkreuzt wird, die aus dem weiter südlichen Afrika nach Europa wollen und sich in der Landschaft verlieren.

Im Jubiläumsheft zum zwanzigjährigen Bestehen der Zeitschrift Trafic machte Rancière vor zwei Jahren auf Teguia aufmerksam, indem er einen Text über Gabbla schrieb. Das kartografierende Moment, das er damals bemerkte, ist auch in dem jüngsten Film Thwara Zanj erkennbar, rund um den die Viennale in diesem Jahr ein "In Focus"-Programm zu Teguia zeigt, in dem das schmale Gesamtwerk des 1966 in Algier geborenen Regisseurs präsentiert wird.

In Thwara Zanj (Zanj Revolution) durchquert ein Mann namens Ibn Battuta, ein Journalist aus Algerien, einmal den arabischen Raum. Und zwar sowohl in einem geografischen wie auch in einem konzeptuellen Sinn. Er sucht jenes größere Arabien, jene "great Arab cause", die in der Geschichte diverse Ausprägungen erfuhr. Unübersehbar interessiert ihn einerseits der Aufbruch in die Moderne, der in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg auch viele der Länder zwischen Irak und Algerien erfasste.

In Beirut, wo wesentliche Teile von Thwara Zanj spielen, ist diese Modernität immer noch spürbar, zwischen den Spuren der Bürgerkriege. Battuta trifft hier auf eine Frau, deren Perspektive eher auf Europa gerichtet ist, auf ein Griechenland, in dem sich ein kommender Aufstand vorbereitet, während er selbst einem Geschehen nachforscht, das mehr als tausend Jahre zurückliegt: der Zanj-Rebellion schwarzer Sklaven gegen das Kalifat der Abassiden.

Unübersehbar ist Teguia von Godard inspiriert, von dessen Periode kurz vor der Kollektivierung der Autorenschaft. Thwara Zanj verknüpft Elemente aus La gai savoir oder La chinoise, am Ende könnte ein berühmter Filmtitel von Chris Marker das Motto abgeben: Rot liegt in der Luft. Der Schatt al-Arab (die "Küste der Araber"), der für Battuta das Ziel dieses elegisch gleitenden Reisefilms ist, ist zugleich so etwas wie der Nullpunkt einer anderen, nicht hegemonialen arabischen Geschichte, eines untergründigen Zusammenhangs, der das einheitsstiftende Moment gerade nicht in der Abgrenzung von der Moderne sucht.

Figuren der Emigration und des Exils werden mit Thwara Zanj übermächtig in Teguias Werk, die Tendenz war aber schon in seinem ersten langen Spielfilm Roma wa la n'Touma erkennbar, in dem zwei junge Leute sich anschicken, Algier zu verlassen. Sie durchqueren die Stadt mit dem Blick derjenigen, die lieber schon anderswo wären. Und auch Hacla (2002), der dazu als Vorfilm gezeigt wird, handelt schon von nichts anderem als von der fehlenden Perspektive in einem Land, dessen Politik zwischen erstarrter Staatlichkeit und fundamentalistischer Engführung diesen offenen Raum vermissen lässt, den Teguia mit seinem Filmen erschließt.

Er legt Spuren, die Algerien, das auch von der Weltkarte des Kinos fast schon verschwunden war, wieder zu einem Ort in einem Netzwerk werden lassen - einer Ökumene im Zeichen kulturellen Austauschs und gemeinsamer Widerstandspraxis. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 30.10.2014)