Nathaniel Dorskys "Summer".

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Bruce Baillies "Mass For the Dakota Sioux".

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Katja Wiederspahn

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Haden Guest

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STANDARD: Im Katalog schreiben Sie, diese Schau ziele auf eine, aber nicht auf die Geschichte des 16-mm-Films. Wie sind Sie das angesichts der Materialmenge angegangen?

Katja Wiederspahn: Zunächst war das abhängig von der Zeit und auch von den Programmplätzen, die uns zur Verfügung standen. Es war klar, dass wir uns auf unsere bereits bestehenden Schwerpunkte und Expertisen konzentrieren. Aber wir haben uns etwa bemüht, nicht nur vom nordamerikanischen und europäischen Kino zu erzählen.

Haden Guest: Wir tendieren zu den Orten, wo 16-mm vielleicht am meisten Bedeutung hatte und die sogenannten Revolutionen am Deutlichsten zu spüren waren. Denn Schmalfilm-Kino hatte sowohl technologisch als auch kulturell verschiedene Bedeutungen an verschiedenen Orten: In Ecuador beispielsweise war 9,5-mm viel entscheidender, in Kolumbien oder Venezuela hatte 8-mm weit mehr Tradition. Die Herausforderung war, dass wir eine alternative Archäologie wollten.

STANDARD: Wie zum Beispiel?

Guest: Wir haben neue Kategorien und Genres erfunden - zusätzlich zu denen, die wir beibehalten haben, um sie ihrerseits herauszufordern: Was bedeutet es im Kapitel "Home Movie", einen Film aus einem Internierungslager für Japaner in den USA zu haben. Das wirft ja gleich interessante Fragen auf - zur Performance des Selbst, zur Bedeutung von "home" usw. Die Filmgeschichte ist immer noch sehr eng definiert, saubere kleine Kategorien, Abschnitte, die auf Dekaden basieren. 16-mm erlaubt dagegen eine Ungehörigkeit, die sehr produktiv sein kann.

Wiederspahn: Wir haben auch über die Mobilität beim Vorführen nachgedacht. Nach der Vorführung von No pincha! (1970) hat Tobias Engel erzählt, wie er damals mit dem Film durch ganz Deutschland gereist ist, um ihn vor anti-imperialistischen Solidaritätsgruppen vorzuführen [es geht um den Freiheitskampf in Guinea-Bissau, Anm.]. Zum buchstäblich Revolutionären an 16-mm gehört auch diese Tradition des reisenden Vorführens.

Guest: Oder die alternativen Aufführungsorte: Kirchen, Schulen, Gefängnisse, Lager - alle außerhalb der etablierten Säle und Orte, sie haben zu einer ganz anderen Zirkulation der Filme beigetragen. Das ist übrigens so geblieben.

STANDARD: Sie haben auch gegen dominante Sichtweisen gearbeitet, wenn man etwa an den Programmpunkt ethnografischen Film oder an die Kriegsfilme denkt.

Guest: 16-mm war eine Kriegstechnologie, die beiden Dinge sind unausweichlich miteinander verbunden. Kameras waren auf den Schiffen, Flugzeugen montiert - sie waren eine Verlängerung des Kriegsapparats. Wir haben diese beiden Blicke auf den Krieg: Camera Thrills of War ist quasi kanonisiert, obwohl auch da etwas Erschreckendes hervortreten kann. Und dann dieses andere Schlachtfeld, mitten im Dschungel, auf das man in No pincha! geführt wird und zu dem eine Gemeinschaft gehört, mit Schulkindern, deren Schulweg gesichert werden muss. Das sind unterschiedliche Kriege, unterschiedliche Kriegsfilme.

Wiederspahn: Auch beim "Home Movie"-Programm wollte ich zumindest eine Arbeit dabei haben, die über die Geschichte des Kolonialismus erzählt. Und es gefällt mir, dass die "Ich-Erzählungen und Tagebuchfilme" bei uns nicht für Amateurfilm stehen.

STANDARD: Dafür haben Sie viele Arbeiten von Filmemacherinnen ausgewählt.

Wiederspahn: Genau, aber eben nicht in dem Sinn, dass es sich dabei um im Alleingang "Selbstgemachtes" handelt, das recht nah am Amateurhaften ist - weil es das eben nicht ist.

STANDARD: Ist das auch ein "Gegen-Kanon", zumal in Wien, wo Arbeiten von Gunvor Nelson oder Marie Menken nicht oft zu sehen sind?

Guest: Das ist auch anderswo so. Stan Brakhage gilt immer noch als einer der wichtigeren Vertreter, wenn es um Tagebuchfilme geht. Es gibt diesen interessanten Dialog zwischen einer Vorstellung vom Home Movie und der Avantgarde, und der Tagebuchfilm ist eine der interessanteren Ausdrucksformen dafür, weil man eben eine bestimmte Zeitpassage aufzeichnet und damit auch ein Bewusstsein dafür verbunden ist. Das ist eine Zeit lang ein wichtiges Projekt der Avantgarde. Und was diese Filmemacherinnen betrifft, sehe ich da dieses Echo von Margaret Tait in Großbritannien zu Menken in den USA. Ich fand es außergewöhnlich, diese Resonanzen zu bemerken, die Formen, mit denen sie gegen diese sehr von Männern dominierte Community arbeiteten. Ein Weg der Selbstvergewisserung war, sich nach innen zu wenden, der Privatsphäre zu.

STANDARD: Was bedeutet es denn für Sie, die Filme wieder ins Kino zurückzubringen? Es gibt je gerade in der bildenden Kunst ein neu erwachtes Interesse an filmischen Formen?

Guest: Wir haben die sehr bewusste Entscheidung gefällt, keine Arbeiten zu nehmen, die für Galerien entstanden sind. Obwohl sie natürlich mit dieser langen Tradition eng verbunden sind. Insgesamt war uns die breite Präsentation im Kino sehr wichtig.

Wiederspahn: Tacita Dean zum Beispiel muss man ja persönlich anfragen, sie hat sofort zugesagt. Es war ihr wichtig, in diesem größeren 16-mm-Kontext dabei zu sein. Ihr Werk handelt eben auch sehr viel vom Format. Ben Rivers ist es wiederum nicht so wichtig, er nimmt die Kontexte natürlich sehr ernst, aber er ist allen möglichen Öffentlichkeiten zugetan. (Isabella Reicher, Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 30.10.2014)