Jede Menge Jubiläumsfeierlichkeiten in den kommenden Tagen und Wochen. Fünfundzwanzig Jahre Mauerfall, fünfundzwanzig Jahre sanfte Revolution in der Tschechoslowakei. Und auch die Besetzung des Majdan in Kiew jährt sich zum ersten Mal. "Aufrufe auf Facebook, zum Majdan zu kommen", notiert der Kiewer Schriftsteller Andrej Kurkow im November 2013 in seinem Ukrainischen Tagebuch, das jetzt auch auf Deutsch erschienen ist. "Aufrufe, warme Sachen, Isomatten, Thermoskannen mit Tee und Proviant für die Nacht mitzubringen."

Viel ist indessen geschehen. Und allerorten fragen die Leitartikler: Hat es sich gelohnt? Sind die Erwartungen derer, die seinerzeit demonstriert, gefroren, ihren Job und oft auch ihr Leben riskiert haben, erfüllt worden? Die Antworten sind einfach. Nein, die großen Erwartungen der Aktivisten sind meistens nicht in vollem Umfang erfüllt worden. Und ja, es hat sich trotzdem gelohnt.

Mancherorts hat der Aufstand der Menschen wirklich zu einer Umkehrung der Verhältnisse geführt. Deutschland ist heute ein einiges, erfolgreiches, demokratisches Land. Tschechien und die Slowakei sind Demokratien, wenn auch die Losung des seinerzeitigen Anführers Václav Havel "Wahrheit und Liebe siegen über Lüge und Hass" nicht voll aufgegangen ist. Die Ukraine hat ein frei gewähltes und westlich orientiertes Parlament, sie muss aber weiter hart um ihre Unabhängigkeit und um die Einheit des Landes kämpfen, mit ungewissem Ausgang. Aber die türkischen Gezi-Park-Besetzer von einst sind nicht zufrieden mit dem Kurs ihres Landes, ebenso wenig die US-amerikanischen Occupy-Wall-Street-Rebellen. Ägypten ist nach den eindrucksvollen Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz von einer Militärdiktatur in die nächste gegangen, und in Syrien herrscht blutiger Bürgerkrieg. Und wie die Protestbewegung in Hongkong ausgehen wird, kann heute noch niemand sagen.

Eine gemischte Bilanz also. Aber was einmal geschehen ist, kann niemand mehr rückgängig machen. Auch niedergeschlagene Revolutionen wirken weiter, sie sind auf ewig Teil der Geschichte der Länder, in denen sie stattgefunden haben, und inspirieren noch nach Jahrzehnten und Jahrhunderten künftige Generationen. Der Prager Frühling von 1968 wurde erstickt, aber er erwies sich als Generalprobe für die erfolgreiche Befreiungsbewegung zwanzig Jahre später. Und die mit Panzern niedergewalzte Demonstration der chinesischen Studenten auf dem Tiananmen-Platz in Peking hat auch die nächste Generation nicht vergessen.

Na und, sagen die sogenannten Realisten. Alle diese Jungen, die mit großen Hoffnungen Plätze besetzen, Losungen skandieren, Freiheit fordern und eine Übermacht herausfordern, sind blauäugige Idealisten, die letztlich an den harten Realitäten der Machtverteilung scheitern müssen. Besser, sich mit ungerechten Regimen arrangieren als womöglich Chaos produzieren. Wozu also die Anstrengung? Aber die Geschichte gibt letzten Endes den scheinbar Unvernünftigen recht, die sich mit der schlechten Gegenwart nicht abfinden und eine bessere Zukunft möglich machen wollen. Wenn nicht heute, dann morgen. Die Toten vom Majdan, die "Himmlischen Hundert", schreibt Andrej Kurkow, sind trotz allem nicht vergeblich gestorben. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 30.10.2014)