Sie tun es also wieder. Wien, Paris und Rom werden die Sparvorgaben der EU ignorieren. Okay, nicht komplett. Diese Peinlichkeit will man der Kommission ersparen. Aber die Regierungen in Frankreich und Italien haben klargemacht, dass sie gegen die noch vor kurzem mit Brüssel vereinbarten Budgetziele für 2015 verstoßen werden. Österreich agiert zwar nicht ganz so dreist, hält sich aber auch nicht an alle Abmachungen.

Damit steht fest, dass auch die neuen Haushaltsregeln, die sich Europa im Krisenjahr 2011 gegeben hat, ignoriert werden können. Darauf gibt es im Wesentlichen zwei Reaktionen. Von links kommt das Argument, dass sich in Europa endlich etwas ökonomische Vernunft einstelle. In Zeiten von Rekordarbeitslosigkeit weiter wie verrückt zu sparen sei ein Irrsinn. "War ja klar", sagen dagegen Kritiker von eher rechts. Schon seit der Gründung der Eurozone würden die gemeinsamen Regeln über Schulden und Defizite immer wieder gebrochen. Das sei ein Affront gegen den Rechtsstaat, Europa verspiele langfristig jedes Vertrauen.

Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. Und das heißt: Die Politik macht gar nicht so viel falsch. Vielleicht ist das Vorgehen der EU, Regeln aufzustellen, sie dann aber nicht immer einzuhalten, juristisch problematisch, aber ökonomisch ganz vernünftig. Verstehen lässt sich dieses Argument, wenn man sich jene Regeln ansieht, die Frankreich und Österreich gerade dabei sind zu brechen und zu dehnen.

2011 standen mehrere Euroländer vor der Pleite. Investoren entzogen Griechenland, Irland und Spanien das Vertrauen, wollten diesen Staaten keine Kredite gewähren. Die Union musste also etwas unternehmen, um das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen. Noch wichtiger war aber, sich einig und handlungsfähig zu zeigen.

Das gelang: Europa vereinbarte die neuen, strikteren Haushaltsregeln. Weil Deutschland darauf bestand, waren sie alternativlos. Hätte es diesen Beschluss nicht gegeben, wäre dies die Bankrotterklärung der Eurozone gewesen, das ganze Gebilde wäre wohl untergegangen. Dies sei all jenen gesagt, die sich bis heute über das Kaputtsparen in Europa beklagen.

Aber, und das ist die Kehrseite: Die Gegenspieler der EU-Politiker, also die Anleger an den Märkten, die Pensionskassen und Fondsmanager, handelten nicht rational. Als Griechenland und Irland wegen ihrer hohen Schulden im Eck standen, brach Panik aus. An den europäischen Finanzmärkten agierte eine kopflose Herde. Länder, deren Schulden nie ein Problem waren (Italien) oder die objektiv gesehen weniger Probleme hatten (Frankreich, Spanien), gerieten plötzlich unter Druck.

So groß die Krisenstimmung damals war, so schnell hat sich seither die Lage an den Märkten auch wieder entspannt. Den Schuldenpakt nun trotzdem auf Punkt und Komma einzuhalten hat angesichts der miesen Wirtschaftslage keinen Sinn. Wenn man so will: Der Irrationalität an den Märkten kann die Politik zumindest ihre Flexibilität entgegensetzen. Erst dadurch wird der Kampf symmetrisch. Zumal die Strategie ja bisher aufgeht: Die Zinsen für Kredite an Frankreich, Österreich und Italien sind auf einem Rekordtief. Anleger schmeißen diesen Staaten Darlehen geradezu nach.

Klar wäre es klüger, gleich die EU-Regeln zu ändern, mehr Ausnahmen zuzulassen. Aber solange Deutschland nicht mitmacht, ist das ein Wunschtraum. Manchmal gewinnt, wer klug und nicht fair spielt. (András Szigetvari, DER STANDARD, 30.10.2014)