Wien - Sophie Scholl wird in den Zeugenstand gerufen. Es ist nicht die historische Widerstandskämpferin, die später als 21-Jährige von den Handlangern der NS-Diktatur in München hingerichtet wurde. Im Landesgericht Wien tritt eine junge Jusstudentin von heute in den Großen Schwurgerichtssaal, dort, wo die großen Prozesse der jüngeren Geschichte, etwa der Bawag-Prozess, über die Bühne gingen. Sophie Scholl ist dazu aufgerufen, eine entscheidende und für sie womöglich unangenehme Zeugenaussage zu machen. Was tun? Die zufällige Namensgleichheit mit der Heldin von einst spricht das Gewissen an.

Suse Lichtenberger lotet diese innere Zwiesprache mit tiefem Ernst aus. Sie imaginiert die "echte" Sophie und deren Heranbildung eines politischen Bewusstseins - da genügt ein Lichtwechsel (Stefan Enderle), um in den Zeiten zu springen. Musiker Imre Lichtenberger-Bozoki spitzt die Gedankengänge mit zarten Trompetenklängen zu. Mit wenigen kleinen Manövern entstehen in Melika Ramics Inszenierung (produziert von werk89 mit dem Dschungel Wien) lebhafte Atmosphären: unbekümmerter Skiurlaub, Erinnerungen an unschuldige Kinderaufmärsche.

Das Stück von Rike Reiniger, Name: Sophie Scholl, verwebt die Parallelführung der beiden Figuren klug und leichthändig, ohne dabei die Gewissensfrage zu sehr zu strapazieren. Ein schöner und wichtiger Abend. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 31.10./1./2.11.2014)