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Kardinal Christoph Schönborn, Oberhirte der katholischen Kirche in Österreich: "Nicht durch die Hand eines Menschen sterben."

Foto: APA / Herbert Neubauer

Das Leben und religiöse Überzeugungen passen nicht immer zusammen. Während sich die Akzeptanz der Bevölkerung für aktive Sterbehilfe im katholisch geprägten Österreich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht hat, ist die römisch-katholische Kirche von einer Debatte weit entfernt: Ihr Oberhirte, Kardinal Christoph Schönborn, drängt intensiv auf ein Festschreiben des Verbots der Sterbehilfe in der Verfassung.

Über sechzig Prozent der Österreicher sind Katholiken; die katholische Kirche gilt auch aufgrund ihrer Größe als jene, die für alle Kirchen in Österreich spricht - auch weil die Politik und vor allem die Volkspartei dem Marschbefehl des Kardinals folgen.

Allein: Die anderen Religionsgemeinschaften im Land haben etwa beim Thema Sterbehilfe durch Suizidbeihilfe unterschiedliche Ansichten. So sagt etwa der evangelische Bischof Michael Bünker im Gespräch mit dem Standard, er könne sich vorstellen, darüber zu diskutieren, ob Suizidbeihilfe weiterhin unter Strafe gestellt wird: "Auch wenn etwas ethisch in Zweifel zu ziehen ist, bedeutet das nicht, es strafrechtlich verfolgen lassen zu müssen."

Eine öffentliche Diskussion - mit Ärzten, Therapeuten, Betroffenen und Angehörigen - scheint zumindest in Gang zu kommen: Im Parlament tagt ab Anfang November eine Enquete zum Thema "Sterben in Würde", eine Bioethikkommission will bis Jahresende den Status quo erheben. Auch die Kirchen sollen in diesen Diskurs einbezogen werden. In Österreich gibt es 22 anerkannte Religionsgemeinschaften. Mitgliederzahlen werden nicht mehr erhoben, die Medienservicestelle spricht, Stand 2013, von 5,4 Millionen Katholiken, 500.000 bis 600.000 Muslimen, 500.000 Orthodoxen und 302.000 Evangelische. Obwohl die katholische Kirche seit Jahren auf ein Festschreiben des Verbots der Sterbehilfe in der Verfassung besteht, lässt sich keine Diskussionsbereitschaft zu dem Thema erkennen. Im Gegenteil: Es gibt keine einzige Stellungnahme zur Sterbehilfe, mit Ausnahme von Presseerklärungen und zwei Positionspapieren der Caritas und der Caritas Socialis, beides Organisationen, die der römisch-katholischen Kirche zugeordnet werden können.

Barmherziger Allah

Auch im Islam zählt es zu den größten Sünden, Leben auszulöschen - das gilt auch für Menschen, die unheilbar krank sind und unter großen Schmerzen leiden. Was die Sterbehilfe betrifft, ist der Koran eindeutig: "... und tötet euch nicht! Allah verfährt mit euch barmherzig." (Sure 4:29) Debatten gibt es jedoch zur Frage von lebensverlängernden Mitteln, von einer Patientenverfügung kann Gebrauch gemacht werden.

Früh hingegen, bereits im Jahr 1996, hat die Generalsynode der Evangelischen Kirchen (Augsburger und Helvetisches Bekenntnis) eine Stellungnahme zur Sterbehilfe verfasst. Zieht man deren Inhalt und die Positionspapiere der katholischen Kirche heran, gibt es bei den Konfessionen auf den ersten Blick Gemeinsamkeiten: Beide lehnen aktive Sterbehilfe ab, befürworten die passive und akzeptieren eine mögliche Lebensverkürzung durch Einnahme von Schmerzmitteln. Bei genauerer Betrachtung unterscheiden sich ihre Ansätze aber stark.

Die katholische Kirche ist strikt: Sie differenziert streng in moralisch erlaubt und nicht erlaubt, in richtig und falsch. Es gibt keine Grauzone. Die evangelische Kirche gibt sich differenzierter. In ihrer Stellungnahme schreibt sie, man könne "meist keine mögliche Entscheidung für sich beanspruchen, einer objektiven Wahrheit verpflichtet zu sein". Daher sei "eine quasi fundamentalistische Festlegung auf bestimmte unumstößliche Positionen nicht wirklich hilfreich".

Für den evangelischen Bischof Michael Bünker heißt das: Dem Gewissen des Einzelnen muss mehr zugestanden werden. Die Kirche kann moralische Grundlagen bieten, sie kann aber nicht für alle Grenzfälle des Lebens in richtig und falsch unterscheiden. Ihm gehe es vor allem darum, Menschen beizustehen, und nicht darum, ihnen mit absoluten Antworten zu kommen. Zudem irritiere ihn die Argumentation, wie sie auch von der katholischen Kirche vertreten wird, die auf der Überschrift "Ausbau der Palliativversorgung statt aktiver Sterbehilfe" und damit auf einer Entweder-oder-Meinung beharrt. Ein besserer Ausbau des Hospizwesens und der Palliativmedizin sei unerlässlich, betont Bünker, gleichzeitig entbinde das die Kirche nicht von ihrer Pflicht, eine gesellschaftliche Debatte über das Lebensende zu führen.

Für die katholische Kirche hingegen besteht ein Sterben in Würde vor allem darin, Krankheit und Tod anzunehmen. Stellung beziehen will Kardinal Schönborn auf Anfrage nicht. Stattdessen lässt er ein Zitat seines Amtsvorgängers Franz König zusenden: "Der Mensch soll an der Hand, aber nicht durch die Hand eines Menschen sterben." Damit folgt er den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils, das im Dezember 1965 festgeschrieben hat: "Was ferner zum Leben selbst in Gegensatz steht, wie jede Art Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie und auch der freiwillige Selbstmord; (...) all diese und andere ähnliche Taten sind an sich schon eine Schande."

An dieser Sicht hat sich bis heute nichts geändert. Die katholische Kirche definiert aktive Sterbehilfe und Suizidbeihilfe als Tötung und damit moralisch als nicht erlaubt. Der evangelische Bischof Michael Bünker sagt, es gehe vor allem um den Konflikt ethischer Entscheidungen am Lebensende. Die Islamische Glaubensgemeinschaft will sich einem Dialog zumindest stellen. Sie ist für eine Debatte, bevor es gesetzliche Änderungen gibt.(Saskia Jungnikl, DER STANDARD, 31.10.2014)