Das größte Update in der Geschichte des mobilen Betriebssystems: So umschreibt Google das vor kurzem veröffentlichte Android 5.0. Doch was bringt "Lollipop" den Nutzern wirklich? Was sind also die wichtigsten Neuerungen? Und wo hat Google gepatzt? Fragen, denen der folgende Test nachspüren soll.

Schöner

Ein Begriff prägt Android 5.0 wie kein anderer: "Material Design". Unter diesem Namen hat Google seinem Betriebssystem eine umfassende grafische Neugestaltung verpasst. Klare Typografie, große Bilder und starke Farben treffen auf ein im Kern bewusst simpel gehaltenes Design. All dies angereichert mit neuen Übergangsanimationen, die dabei helfen sollen, die Abläufe am Bildschirm leichter zu erfassen - so das Konzept von Google. In der Praxis erweist sich das als Volltreffer. Denn unabhängig von all den Fragen optischer Vorlieben: So durchdacht wirkte die Oberfläche von Android noch nie. Gerade die durchgängig dezent gehaltenen Animationen sorgen dafür, dass Android deutlich dynamischer, physischer als in früheren Versionen wirkt.

Google Play Music - eine der vielen Apps, die ein überarbeitetes Design spendiert bekommen haben.
Foto: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Allerdings hängt der Erfolg einer solchen Design-Offensive natürlich immer davon ab, ob sie von App-Entwicklern und Drittherstellern angenommen wird. Um eine größtmögliche Akzeptanz zu sichern, hat Google umfangreiche Style Guides samt detaillierten Beispielen veröffentlicht. So weit - so vorbildlich. Allerdings hält sich Google selbst nicht konsequent an die eigenen Vorgaben. Besonders deutlich zeigt sich das am Sidebar, der in praktisch allen Google-Apps leicht anders umgesetzt ist. Zudem wirkt es so, als wäre Google beim Redesign der eigenen Apps einfach nicht fertig geworden. Während etwa die Adressbuchanwendung durch eine grundlegende Neugestaltung glänzt, wirken andere Apps so, als wäre Google gerade mal mit einem Kübel Farbe darüber gegangen.

Schneller

Das schönste Design bringt natürlich wenig, wenn dadurch alles langsamer wird. Die gute Nachricht: Das ist hier definitiv nicht der Fall. Android 5.0 ist in praktisch allen Belangen deutlich flotter als seine Vorgänger. Gerade auf Geräten mit nicht mehr ganz aktueller Hardware ist das Scrollen in grafisch aufwändigen Apps nun wesentlich "weicher". Auch der Start von Apps geht meist schneller vonstatten. Und das beste: Von den Verbesserungen an der Basis von Android 5.0 profitieren praktisch alle Dritt-Apps automatisch - also ohne irgendwelche Anpassungen vornehmen zu müssen.

Verbliebene Defizite

Das heißt allerdings nicht, dass mit "Lollipop" magisch sämtliche Performance-Defizite verschwunden sind. Gegen schlecht geschriebene Apps hilft auch das nur bedingt. Zudem ist aber selbst das Kernsystem nicht ohne Fehl: So fällt auf, dass Android 5.0 offenbar etwas aggressiv Programme im Hintergrund beendet. Dies führt dazu, dass beim - prinzipiell jetzt deutlich flotteren - Wechsel zwischen mehreren Apps manchmal ein zusätzliche Wartezeit entsteht, da die App erst neu gestartet werden muss. Im Testverlauf ist das unerfreulicherweise sogar des Öfteren mit dem Launcher passiert. Beim Wechsel auf den Homescreen warten zu müssen, das sollte heutzutage beim besten Willen nicht mehr passieren.

Der Google Now Launcher präsentiert die Programme nun vor weißem Hintergrund und nutzt eine hübsch gestaltete Animation, um diesen Übergang zu visualisieren.
Foto: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Die Performance-Optimierungen haben aber noch einen erfreulichen Nebeneffekt: Kann eine App eine Aufgabe schneller erledigen, verbraucht sie weniger Strom. Da Google Android 5.0 auch sonst auf Stromsparen getrimmt hat, dürfen sich die Nutzer auf eine längere Akkulaufzeit freuen. Wie groß der Gewinn tatsächlich ist, hängt natürlich wie immer stark vom eigenen Nutzungsverhalten ab. Wer das Gerät dauernd in der Hand hat, wird davon deutlich weniger spüren als jene, die auch einmal längere Pausen einlegen. Immerhin ist der Bildschirm bei intensiver Nutzung der Hauptakkufresser - und dessen Stromhunger lässt sich durch Softwareupdates nicht ändern. Als einen kleinen Bonus gibt es in Lollipop einen Stromsparmodus, der einsetzt, wenn der Akku knapp wird. Dabei werden die Animationen ebenso reduziert wie die allgemeine Geschwindigkeit des Geräts und die Bildschirmhelligkeit. Im Gegenzug hält das Smartphone oder Tablet dann halt noch etwas länger durch.

Besser

Eine der nützlichsten neuen Funktionen bietet Android 5.0 gleich beim Setup an – können nun doch gezielt Einstellungen von anderen Geräten übernommen werden. Besonders hilfreich ist das also beim Wechsel auf ein neues Smartphone. Einfach altes und neues Gerät zusammenhalten, und den Rest übernimmt Android automatisch. Voraussetzung ist lediglich, dass beide Geräte NFC unterstützen. Alternativ kann ein bei Google gespeichertes Profil eines anderen Geräts gezielt wiederhergestellt werden. Nützlich ist, dass dabei einzelne Apps von der Wiederherstellung ausgenommen werden können.

Multi-User

Mit Lollipop gibt es Multi-User-Support endlich auch am Smartphone, jeder Nutzer erhält dabei seinen vollständig abgeschotteten Bereich, der auch getrennt eingerichtet werden muss. Etwas unverständlich ist allerdings, dass Android hier nicht die zuvor beschriebene "Tap & Go"-Funktion zur Übernahme der Einstellungen von anderen Geräten anbietet. Neu ist zudem ein Gastmodus, in dem keinerlei Daten gespeichert werden und der natürlich auch keinerlei Zugriff auf die sonst am Gerät gespeicherten Daten und Einstellungen hat.

Pinning

Etwas versteckt hat Google eine thematisch dazupassende Neuerung: das "Screen Pinning". Damit wird ein Programm fix im Vordergrund positioniert, beim Versuch auf eine andere App zu wechseln, wird der Sperrcode verlangt. Nett ist das etwa für Eltern, die das eigene Smartphone ihren Kindern zum Spielen weitergeben wollen, ohne dass diese gleich in anderen Programmen wildern können. Verblüffenderweise ist diese Funktion aber von Haus aus deaktiviert, muss also erst über die Systemeinstellungen eingeschaltet werden.

Task Switcher

Mit Android 5.0 wurde die Ansicht zum Wechsel zwischen mehreren Programmen neu gestaltet. Sie präsentiert sich nun wie ein Stapel an Karten, durch den geblättert werden kann. An dieser Stelle sei noch einmal ein Lob für die Android-Designer und -Entwickler ausgesprochen: Diese grafisch durchaus aufwendige Animation läuft - wie viele andere Elemente des "Material Design" - wirklich beeindruckend flott. Selbst bei dutzenden Einträgen ist uns im Testverlauf nie auch nur ein einziger Hänger untergekommen. Und das selbst auf älteren Geräten wie dem Nexus 7 (2012). Die Zielvorgabe, all diese zentralen Animationen konsistent mit 60 Bildern pro Sekunde laufen zu lassen, scheint man in den allermeisten Bereichen also wirklich erreicht zu haben.

Der Task Switcher ist nun im Kartendesign gehalten.
Foto: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Zudem funktioniert der Task Switcher nun auch anders, und zwar dokumentzentriert. Das bedeutet vor allem, dass eine App jetzt mehrere Einträge in dieser Liste vornehmen kann. Im wörtlichen Sinne nutzt dies etwa Google Docs, um den schnellen Wechsel zwischen mehreren geöffneten Dokumenten zu ermöglichen. Der Browser Chrome wiederum ersetzt damit auf Smartphones seine bisherige Tab-Ansicht. Und bei Gmail werden Nachrichtenübersicht und die Bearbeitung einer neuen Mail nun ebenfalls getrennt behandelt.

Benachrichtigungen

Grundlegend umgestaltet wurde der gesamte Bereich der Benachrichtigungen. Einerseits präsentieren sich diese nun weniger aufdringlich, indem sie von oben in den Bildschirm geschoben werden, ohne das aktuelle Geschehen zu beeinträchtigen. Zudem werden Notifications jetzt am Lock Screen angezeigt. Die Nutzer können dabei selbst entscheiden, ob an dieser Stelle bereits die gesamten Inhalte dargestellt oder sensible Details ausgeblendet werden sollen. Einzelne Apps können darüberhinaus festlegen, dass ihre Benachrichtigungen prinzipiell unbedenklich sind. Leider unterstützen dies bisher nur wenige Apps, wodurch schon mal triviale Dinge wie Musik- oder Filmsteuerelemente unnötig versteckt werden. Google gibt den Nutzern darüber hinaus umfangreiche Möglichkeiten, um die Anzeige von Benachrichtigungen den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Dies reicht von der vollständigen Blockade für einzelnen Apps bis zur Priorisierung der Notifications anderer.

Benachrichtigungen werden mit Android 5.0 direkt am Lock Screen dargestellt.
Foto: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Seit einigen Versionen gibt es Schnelleinstellungen bei Android, und mindestens genau so lange stehen sie in der Kritik, weil sie nicht wirklich konsistent umgesetzt sind. Dies hat mit Android 5.0 ein Ende. Das Ein- und Ausschalten von einzelnen Funktionen klappt nun endlich durchgängig mit einem kurzen Touch auf das zugehörige Icon. Die Platzierung der Schnelleinstellungen hat sich ebenfalls leicht geändert, sie werden nun dargestellt, wenn die Benachrichtigungen weiter nach unten gezogen werden. Eine wohl durchdachte Lösung, nehmen sie so doch den Notifications nicht dauerhaft Platz weg. Darüber hinaus gibt es einige neue Funktionen: So kann jetzt an dieser Stelle flott ein Hotspot aktiviert werden. Vor allem aber hat sich Google endlich dazu erbarmt, einen Knopf für eine Taschenlampenfunktion in den Schnelleinstellungen unterzubringen. Ebenfalls in diesem Bereich ist ein Helligkeitsregler platziert, der nun aber etwa anders funktioniert als in früheren Versionen. Wird doch damit eine Art Basiswert definiert, rund um den dann je nach Lichtverhältnissen automatisch geregelt wird. "Adaptive Helligkeitsanpassung" nennt sich das.

Do not disturb

"Bitte nicht stören" - ein Wunsch, den nun auch Googles Android beherzigt. Die Nutzer können also vorübergehend die Anzeige von Benachrichtigungen aller Art blockieren. Ganz neu ist so ein Feature in der Smartphone-Welt natürlich nicht, an Googles Umsetzung gibt es aber zumindest wenig auszusetzen. Es können fixe Zeiten definiert werden, zu denen der "Do not disturb"-Modus automatisch aktiviert wird. Und wer will kann einzelne Personen oder Aktivitäten - wie Anrufe oder SMS - von dieser Blockade ausnehmen. Wünschenswert wäre allerdings noch, dass für unterschiedliche Tage auch individuelle Ruhezeiten definiert werden können. Immerhin hat man an freien Tagen meist andere Bedürfnisse als während der Arbeitswoche.

Sicherheit

Mindestens so wichtig wie neue Funktionen ist die Sicherheit der Geräte. Und auch hier hat sich Google für Android 5.0 einiges einfallen lassen. So werden nun sämtliche neu mit "Lollipop" ausgelieferten Geräte verschlüsselt. Damit wird es Unbefugten erheblich erschwert auf die lokalen Daten zuzugreifen. So etwas bringt natürlich nur etwas, wenn das Smartphone auch durch einen vernünftigen Sperrcode oder besser noch eine Passphrase geschützt ist. Mit dem "Smart Lock" will Google mehr Nutzer dazu bringen, dies auch tatsächlich zu tun. Die Idee dahinter: Die Nutzer können per Bluetooth verbundene Geräte definieren, in deren Nähe die Sperre automatisch deaktiviert wird. Das kann beispielsweise eine Smartwatch sein, oder auch die Stereoanlage im Auto. Reißt diese Verbindung ab - etwa wenn das Gerät entwendet wird - muss beim nächsten Entsperren wieder der richtige Code eingegeben werden. Auf diese Weise wird die Häufigkeit, mit der täglich die richtige Zahlen- oder Buchstabenkombination eingegeben wird, deutlich reduziert. Und wer kurzfristig auf Nummer sicher gehen will, kann die Sperre noch immer manuell erzwingen, ein Touch am Lock Screen reicht dafür aus.

"Lollipop" ist der Codenamen von Android 5.0.
Foto: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Eine sehr nützliche Angelegenheit, die allerdings derzeit noch in ihren Kinderschuhen steckt. Immerhin haben bisher nur wenige eine Smartwatch, und in der Wohnung steht auch nicht immer ein dauernd laufendes Bluetooth-Gerät zur Verfügung. Die Möglichkeit sichere Orte über die Verbindung zu einem WLAN zu definieren gibt es hingegen noch nicht. Und wenn wir schon bei Wunschlisten sind: Es wäre sinnvoll, "Smart Lock" und das neue Benachrichtigungssystem zu verschränken. Immerhin ist es reichlich sinnlos, den Inhalt von Benachrichtigungen am Lock Screen zu verstecken wenn gerade keine Sperre aktiv ist.

Stabil?

Bleibt die Frage: Wie stabil läuft Android 5.0? Darauf gibt es zwei Antworten: Abstürze von Systemkomponenten konnten schon mit der letzten Testversion nicht mehr festgestellt werden. Trotzdem kann es natürlich dazu kommen, dass die eine oder andere App Probleme macht. Immerhin wurde für "Lollipop" auch so manch zentrale Änderung an der Betriebssystembasis vorgenommen. In den letzten Wochen haben aber bereits einige Hersteller Updates nachgeliefert. Insofern rentiert sich die erstmalige Veröffentlichung von Android-Preview-Versionen im Vorfeld alleine schon aus diesem Blickpunkt.

Auswahl

Zum Abschluss noch eine Bemerkung allgemeiner Natur: Bei all dem hier präsentierten handelt es sich nur um eine Auswahl der neuen Funktionen von Android 5.0. Wer noch weiter ins Detail gehen will, sei auf die offizielle Produktseite von Google verwiesen. Technisch versierten Lesern seien zudem die Developer Release Notes ans Herz gelegt, wo unter anderem auf die mannigfaltigen Verbesserungen in den Bereichen Audio und 3D-Grafik eingegangen wird.

Fazit

Die Wartezeit hat sich ausgezahlt: Die Änderungen an Android 5.0 sind wirklich umfassend, vor allem die deutlichen Performancesteigerungen und das neue Design wissen zu gefallen. Auch in Fragen Funktionalität und Sicherheit macht Android wichtige Fortschritte. Gleichzeitig bleibt der Eindruck, dass hier manches nicht ganz fertig ist, vor allem was die Umgestaltung der Kern-Programme anbelangt. Klar: Softwareentwicklung ist immer ein Prozess und nie richtig abgeschlossen. Trotzdem würde das "Material Design" noch besser zur Geltung kommen, wenn dessen volle Ausgestaltung nicht nur wenigen Apps vorbehalten wäre. Immerhin bleibt der Trost, dass Google hier über den Play Store problemlos Updates nachschieben kann.

Update?

Das beste Update ist freilich nichts wert, wenn man es nicht bekommt. Mittlerweile haben glücklicherweise die meisten großen Android-Hersteller eine Aktualisierung auf "Lollipop" versprochen - zumindest auf ihren aktuellsten Geräten. Den Anfang machen wie schon vergangenes Jahr Googles eigene Nexus-Smartphones und -Tablets sowie aktuelle Geräte von Motorola. Beide Hersteller haben mittlerweile mit der Update-Auslieferung begonnen. Auch LG will sein G3 in Kürze mit der neuen Version bedenken. Samsung, HTC und Sony haben ebenfalls bereits entsprechende Updates angekündigt, die zum Teil deutlich flotter kommen sollen als bei früheren Android-Generationen. Abzuwarten bleibt freilich, wie viel von Googles Android 5.0 dann in den Varianten der einzelnen Hersteller noch übrig bleiben wird. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 13.11.2014)