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Hier wird gearbeitet. Und zwar daran, dass die Menschen ihre Freizeit im "Winterdome" in Hamburg verbringen können.

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Arbeitsforscher Jörg Flecker glaubt, dass weniger arbeiten auch möglich wäre und zahlreiche erwünschte Nebenwirkungen hätte.

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STANDARD: Die Zahl der Arbeitssuchenden ist in Österreich so hoch wie nie. Vor allem Junge, Ältere und Langzeitarbeitslose sind stark betroffen. Der Trend hält sich hartnäckig. Gibt es außer Wirtschaftswachstum eine Lösung?

Flecker: Das Wirtschaftswachstum müsste rund drei Prozent ausmachen, damit die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Das ist sowohl für Europa als auch für Österreich völlig unrealistisch.

STANDARD: Verlockend klingt die Idee: Arbeiten wir doch alle weniger. Sie haben jüngst mit einer Expertenrunde die Frage diskutiert, ob 30 Arbeitsstunden pro Woche genug sind. Für den Wirtschaftsstandort und die Unternehmen ist das unleistbar und unrealistisch, oder?

Flecker: Eine Verkürzung der Arbeitszeit wäre nur in europäischer Abstimmung möglich. Länder mit einer sehr hohen Wettbewerbsfähigkeit wie Deutschland oder Österreich müssten vorausgehen. Wir haben ohnehin in der Eurozone das Problem der wirtschaftlichen Ungleichgewichte. Eine Möglichkeit, sie abzubauen, wäre, die Löhne in Österreich und Deutschland drastisch zu erhöhen. Den gleichen Effekt hätte es, die Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich zu verkürzen.

STANDARD: Aus Deutschland darf man sich da wohl keine Impulse erwarten. Dort will man auf gar keinen Fall die Wettbewerbsfähigkeit schmälern.

Flecker: Allerdings gibt es dort schon die Diskussion über kurze Vollzeit für Eltern. Das Attraktive an diesem Konzept ist, dass man damit nicht nur Arbeit umverteilt, sondern auch wichtige gesellschaftliche Herausforderungen lösen kann. Zum Beispiel die Frage, wie wir Menschen im Erwerbsleben länger gesund halten. Da spielen auch Arbeitszeit oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Rolle.

STANDARD: Es würde wohl auch ziemliche Unterschiede zwischen den Branchen geben, oder?

Flecker: Manche kapitalintensive Branchen, wie etwa die Papierindustrie oder die Druckereien, sind schon bei 36 oder sogar bei 32 Stunden. Die kratzt das gar nicht, weil die Löhne nur einen geringen Anteil an ihren Kosten ausmachen. Anders sieht das in personalintensiven Branchen wie Gastgewerbe, Hotels oder Reinigungsgewerbe aus.

STANDARD: Dort, wo gleichzeitig am wenigsten verdient wird.

Flecker: Da müsste man sich überlegen, wie man Fairness zwischen den Branchen schafft und schaut, dass die Leute nicht Einkommen verlieren. Man müsste zum Beispiel bei den Sozialbeiträgen von der Lohnsumme auf die Wertschöpfung umstellen und die Unternehmen, die weniger Leute beschäftigen, zur Kassa bitten.

STANDARD: Die berühmte Wertschöpfungsabgabe vulgo Maschinensteuer wurde schon wieder verworfen ...

Flecker: Hätte man sie damals umgesetzt, hätte man sich einiges erspart.

STANDARD: In der Wirtschaft finden Sie dafür nicht viele Freunde. Noch dazu, wo Österreich bei der Produktivität hinter Länder wie Belgien, die Niederlande, Frankreich oder Deutschland zurückfällt. Das spricht doch auch gegen weniger Arbeiten, oder?

Flecker: Österreich hat sehr lange sehr niedrige und teilweise sogar negative Reallohnentwicklungen gehabt. Lange war nur Deutschland niedriger, Österreich hat also andere unterboten. Dass die Produktivität zuletzt etwas gesunken ist, hat auch mit der Krise zu tun. Wenn die Auslastung weniger hoch ist, schlägt das auch auf Produktivitätskennzahlen durch. Ich sehe da durchaus Spielraum. Schon wenn man sich die Vermögensverteilungszahlen der EZB ansieht oder die Gewinnausschüttungen der ATX-Unternehmen, kann man ablesen, dass es gar nicht nur um Wettbewerbsfähigkeit geht. Da bleibt sehr viel übrig im Land, sowohl aufseiten der Gewinne als auch aufseiten des privaten Reichtums.

STANDARD: Wäre nicht eine Reduktion der vielen Überstunden, die die Österreicher leisten, die einfachere Verteilungsvariante?

Flecker: Arbeitszeitverkürzung muss natürlich zuerst bei der Überstundenverkürzung ansetzen. Das ist richtig.

STANDARD: Andererseits scheinen die Österreicher für Mehrarbeit ein besonderes Faible zu haben. Kann es sein, dass die Menschen gar nicht weniger arbeiten wollen?

Flecker: Die Leute wollen nicht unbedingt lange arbeiten. Die einen wollen viel verdienen, aber bei vielen gibt es einfach zu wenig Personal. Arbeitszeitstatistiken zeigen, dass sich viele der Vollbeschäftigten eine kürzere Arbeitszeit wünschen. Fast ein Drittel der Männer, die sich für eine Arbeitszeitverkürzung aussprechen, wünschen sich laut Statistik Austria im Durchschnitt elf Stunden weniger.

STANDARD: In den Kollektivvertragsverhandlungen war Arbeitszeitverkürzung zuletzt eher ein Randthema. Lauter war die Forderung nach flexibleren Arbeitszeiten. Tatsächlich sind zum Beispiel die Dänen flexibler als Österreich und damit offenbar auch erfolgreicher. Ist Hire and Fire das bessere Modell?

Flecker: Es gibt viele andere Länder mit Hire and Fire, die gar nicht besser unterwegs sind. In Österreich ist der Kündigungsschutz sogar weniger ausgeprägt als in Deutschland. Österreich ist schon sehr flexibel. Beim dänischen Flexicurity-Modell darf man außerdem die Seite der Sicherheit nicht vergessen. Der Kündigungsschutz ist zwar schwächer als in Österreich, dafür gibt es sehr hohe Ersatzraten. Das Arbeitslosengeld liegt bei 80 Prozent im Vergleich zu 55 Prozent in Österreich. Man schützt dort nicht die Beschäftigung, aber man schützt die Leute, wenn sie arbeitslos werden. Dänemark hat aber auch in anderer Hinsicht einiges anders gemacht. Etwa mit der Qualität der Arbeitsplätze.

STANDARD: Glaubt man einer neueren OECD-Erhebung, ist gerade diese in Österreich sehr viel schlechter als in den meisten OECD-Ländern. Überraschend?

Flecker: Ich denke, hier schlägt auch Österreichs starke Tourismusbranche durch. Wenn dort die Arbeitsbedingungen deutlich weniger gut sind, macht sich das bemerkbar. Andererseits werden in den skandinavischen Ländern seit Jahrzehnten Programme zur Humanisierung der Arbeitsplätze umgesetzt. Auch Deutschland legt jetzt wieder ein entsprechendes Programm auf. So etwas hat es in Österreich nie gegeben.

STANDARD: Warum?

Flecker: Das hat ein bisschen mit der Sozialpartnerschaft zu tun. Man regelt eher auf der gesetzlichen und kollektivvertraglichen Ebene und mischt sich relativ wenig in die Gestaltung der Arbeitsplätze im Betrieb ein. Erst vor kurzem wurde die Evaluierungspflicht psychischer Belastungen eingeführt.

STANDARD: Was haben nun die skandinavischen Länder von ihrem Engagement in diesem Bereich?

Flecker: In Sachen Arbeitsplatzqualität sind die nordischen Länder ganz vorn. Finnland hat schon sehr früh darauf geachtet, dass altersgerechtes Arbeiten eingeführt wird. Auch Schweden, Norwegen und Dänemark haben hier sehr früh Maßnahmen ergriffen. Es geht darum, dass die Leute bis zum Pensionsantrittsalter gesund bleiben. Aber natürlich hat es auch mit den Arbeitsplätzen im Land selbst zu tun. Wenn man die gefährlichen und anstrengenden Tätigkeiten in andere Länder verlagert und sich quasi die Rosinen aus dem Kuchen holen kann, schaut es mit der Arbeitsplatzqualität auch besser aus.

STANDARD: Welche Betriebe sind besonders motiviert, hier etwas zu tun?

Flecker: Denken Sie an die Papierindustrie. Nach der Ausbildung dauert es zwölf Jahre im Betrieb, bis ein Mitarbeiter in die Position kommt, ein Team zu führen, das die Maschinen steuert. Da gibt es eine sehr große Motivation, solche Mitarbeiter lange und vor allem lange gesund im Betrieb zu halten. Bei Hilfstätigkeiten hat man den nächsten Mitarbeiter am nächsten Tag bei der Hand. Da ist natürlich der Antrieb zu investieren wesentlich geringer.

STANDARD: Als Antwort auf häufige Krankenstände setzten eine norwegische Molkerei und ein schwedisches Autohaus durch, bei gleichen Bezügen die Arbeitszeit auf 30 Stunden zu reduzieren. Die Produktivität soll durch Rückgang der Krankenstände und mehr Effizienz um 50 Prozent gestiegen sein. Kann man davon ausgehen, dass das mehr sind als wundersame Einzelbeispiele?

Flecker: Noch sind das eher Einzelbeispiele. Aber in Gemeinden wird etwa in den nordischen Ländern auch versucht, den Sechsstundentag umzusetzen, um Krankenstände zu verringern. Das erfordert oft keine zusätzlichen Kosten. Das betrifft aber vor allem Branchen und Betriebe mit hoher Arbeitsplatzsicherheit. Mit anderen Worten: Das gibt es dort, wo man die Mitarbeiter nicht loswird. In der Bauwirtschaft bekommen die Leute den Kündigungsbrief nach Hause, sobald sie in Krankenstand gehen oder einen Unfall hatten.

STANDARD: Abschließend noch einmal zur Arbeitszeit. 1975 wurden 40 Stunden pro Woche als gesetzliche Normalarbeitszeit festgelegt. Bis in die 1990er wurde die Arbeitszeit auf 38,5 Stunden gesenkt. In der Geschichte war die Antwort auf hohe Arbeitslosigkeit oftmals eine Arbeitszeitverkürzung. Mit welchem Erfolg?

Flecker: Generelle Arbeitszeitverkürzungen reduzieren die Arbeitslosigkeit. Das ist deutlich dokumentiert. Ohne die Arbeitszeitverkürzungen wäre die Arbeitslosigkeit noch deutlich höher. Die jetzt sehr hohe Arbeitslosigkeit kann man – neben anderen Gründen – sicher auch darauf zurückführen, dass man die Arbeitszeitverkürzungen in den 1980er-Jahren nicht fortgesetzt hat.

STANDARD: Andererseits ist bei uns nicht einmal eine sechste Urlaubswoche konsensfähig.

Flecker: Ja. Im Konsens ist das schwierig. Das war aber auch in der Geschichte immer eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung. Arbeitszeitverkürzungen waren von den Gewerkschaften teilweise hart erkämpft. (rebu, STANDARD, 4.11.2014)