Beim Zähneputzen noch synchron mit einer störungsfreien Umwelt, doch bald wird die Familie aus Ruben Östlunds "Turist" in ihrem Selbstverständnis erschüttert.

Foto: Viennale

Eine Familie aus Schweden macht Skiurlaub in den Alpen. In dem Edelressort sind alle Abläufe automatisiert. Von den Pistenraupen über die Laufbänder in den Skistall bis zu den elektronischen Zahnbürsten im Badezimmer - alles ergibt quasi ein Kontinuum.

Dann löst sich eine Lawine: eine Sicherheitsmaßnahme, per Fernauslöser in Gang gebracht, versichert der Vater noch seinen Kindern. Als der Koloss jedoch direkt auf die Restaurantterrasse zudonnert, weicht Zuversicht nackter Angst. Der Vater flieht, lässt die Familie im Ungewissen zurück. Nichts passiert, und doch ist die Situation verändert.

Turist heißt Ruben Östlunds Film lakonisch. Mit großer Akkuratesse erzählt er von einer Familienkrise, die von Anfang an über das Private hinausreicht. Die Frau kommt mit dem Verhalten ihres Mannes nicht zurecht, zumal sich dieser nur in weitere Ausflüchte verstrickt, keine Erklärung für sein Vorgehen liefert. Eine Vertrauenskrise ist die Folge, die ihre Wurzel in einem angeknacksten Männlichkeitsbild hat. Östlund fragt nicht zuletzt danach, wonach sich in einem modernen Ambiente von Kontrolle und Sicherheit überhaupt so etwas wie persönliche Courage bemisst.

Schon in früheren Filmen (Involuntary; Play) hat der schwedische Regisseur Verhaltensstudien gefertigt, in denen Schieflagen zutage traten. Turist ist dahingehend sein bisheriges Meisterstück. Das Ressort bietet mit seiner durchinszenierten Freizeitkultur den perfekten Schauplatz für eine Auseinandersetzung mit Selbstbildern, Projektionen und postheroischen Identitätskonzepten, die brüchig werden.

Östlund findet die Schwachstellen moderner Lebensführung, kleine Lügen, unterdrücktes Begehren, Scheinheiligkeiten - und er beweist dabei nicht nur Genauigkeit im Detail, sondern vor allem auch Humor. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 4.11.2014)