Bild nicht mehr verfügbar.

Theresa May ist mit scharfer Kritik konfrontiert.

Foto: REUTERS/Leon Neal/Pool

Inkompetenz, Verschleppung wichtiger Aufklärung, Unterdrückung eines Berichts über Versäumnisse im eigenen Haus – die britische Opposition setzt Innenministerin Theresa May derzeit mit einer langen Liste von Anklagepunkten zu. Stets geht es dabei um Sexualverbrechen gegen Kinder und Jugendliche und deren mangelnde Aufklärung.

Eine vor vier Monaten angekündigte Untersuchungskommission kommt nicht in Gang, zwei Kandidatinnen für den Vorsitz mussten zurücktreten. Am Montag gelobte May Besserung und engere Konsultation mit Opferverbänden.

Reihe von Skandalen

Die Idee zu einer unabhängigen Kommission geht auf eine Reihe von Skandalen zurück, die alle eines gemeinsam haben: Vorwürfe schwerster Straftaten, von Bedrohung über Körperverletzung, Leichenschändung und Massenvergewaltigung, wurden von Polizei- und Sozialbehörden über mehrere Jahrzehnte ignoriert oder unterdrückt. Beim früheren BBC-Entertainer Jimmy Savile kamen Hunderte von Delikten erst posthum ans Licht, andere ältere Männer wurden zu teilweise mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Im zuständigen Innenministerium gingen in den 1980ern und 1990ern brisante Akten verloren, was Gerüchten über ein Netzwerk von Kinderschändern Auftrieb gab.

Zusätzlichen Anschub erhielt die Kommission durch die Ende August bekanntgewordenen Missstände in der 240.000-Einwohner-Stadt Rotherham. Dort wurden zwischen 1997 und 2013 "nach konservativer Schätzung" mindestens 1.400 Minderjährige missbraucht, resümiert die Untersuchungsführerin Alexis Jay. Die Professorin für Sozialarbeit gehört als Expertin der neuen Kommission an. Diese soll über Städte und Tätergruppen hinausgehen und das gesamte Problem betrachten. Kritiker wie der Autor Dominic Lawson nennen es deshalb eine "unmögliche Aufgabe": Das Gremium könne der Opfervielfalt und den verschiedenen Umständen nicht gerecht werden.

Zweimal gleicher Fehler

May beging bei der Berufung der Komiteevorsitzenden zweimal den gleichen Fehler. Zunächst benannte sie eine 80-jährige frühere Richterin am High Court, deren verstorbener Bruder der Regierung in den 1980er-Jahren als Rechtsberater gedient hatte und an Deliktunterdrückung beteiligt gewesen sein könnte.

Nach dem Rückzug der Richterin verfiel May auf Fiona Woolf, Bürgermeisterin der City of London. Doch Woolf ist eine Bekannte des früheren Innenministers Leon Brittan, gegen den konkrete, wenn auch unbewiesene Vertuschungsvorwürfe im Raum stehen. Bei einem Treffen von Opferbeauftragten votierten 18 der 21 Anwesenden für Woolfs Rücktritt, der am gleichen Tag erfolgte.

May galt bisher als kompetente Leiterin eines notorisch schlecht organisierten Hauses und mögliche Nachfolgerin des Premierministers David Cameron. Jetzt muss die 58-Jährige einen Berufungsprozess entwickeln, dem die Opfer zustimmen, und dann die Kommission aufgleisen. Zudem ist die Veröffentlichung eines Berichts überfällig, der Versäumnissen im Innenministerium zwischen 1979 und 1999 nachgeht. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 4.11.2014)