Wien/Frankfurt - Als sich die Eurozone im Juli 2012 nach langem Ringen auf die Errichtung einer Bankenunion einigen konnte, sorgte ein Wutbrief von 172 Wirtschaftsprofessoren für Aufregung. Die Schaffung einer Bankenunion bedeute, dass "Sparer aus soliden Ländern" wie Deutschland und Österreich künftig für die Schulden spanischer, italienischer ja selbst griechischer Banken haften müssten. Europa drohe neue "Zwietracht", stand in dem Schreiben, die Bankenunion nütze allein der Wall Street und Geldhäusern in der City of London.

Etwas mehr als zwei Jahre später wird die Schreckensvision der Professoren Realität: Heute, Dienstag, nimmt die EZB ihre Arbeit als oberste Bankenaufseherin in Europa auf. Damit ist die erste Säule der Bankenunion errichtet. Die EZB beaufsichtigt ab sofort die 120 größten Kreditinstitute in der Eurozone. Statt wie bisher die nationalen Behörden, wird nun die Eurozentralbank in Frankfurt darüber wachen, ob sich die Institute an alle Regeln halten.

EZB vergibt Lizenz

Für die übrigen rund 6000 Banken wird die EZB indirekt zuständig sein - sie überwacht, ob die nationalen Aufseher ihre Arbeit erledigen. In Österreich werden acht Geldhäuser, darunter Bawag und Raiffeisen Zentralbank, künftig von der EZB geprüft. Bisher waren Nationalbank und Finanzmarktaufsicht FMA zuständig.

Die entscheidende Frage nach der Schlüsselübergabe bei den Aufsehern ist, was sich eigentlich konkret ändert: Werden Bankenkrisen künftig weniger wahrscheinlich, oder ist es so, dass, wie die Professoren schrieben, die Risiken für Bürger steigen?

Sicher ist, dass es zur großen gegenseitigen Haftungsübernahme in Europa vorerst nicht kommen wird - zunächst einmal weil der Schutz der Sparer weiterhin eine primär nationale Angelegenheit bleibt. Ursprünglich wollten die EU-Kommission und die EZB, dass die Einlagensicherungssysteme der 18 Euroländer verschmolzen werden.

Sparer bleiben unter sich

Die Einlagensicherung deckt Bankguthaben bis 100.000 Euro ab. Ein gemeinsames System könnte im Ernstfall mehr Geld bereitstellen. Doch konnten sich die Euroländer bisher auf kein gemeinsames System einigen, weshalb diese dritte Säule der Bankenunion bisher Theorie bleibt.

Selbst auf Bankenebene werden Risiken nur zurückhaltend geteilt. So wurde zwar vereinbart, einen Versicherungsfonds für alle Geldhäuser in der Eurozone zu errichten. Der Fonds - der den Kern der zweiten Säule der Bankenunion bildet - wird von den Banken je nach ihrer Größe und ihrem Risikoprofil laufend befüllt. Ab 2015/ 2016 beginnen die Einzahlungen, bis 2023 sollen 55 Milliarden Euro zusammenkommen.

Doch zunächst betreibt jedes Euroland seine eigene Fonds, die Verschmelzung erfolgt schrittweise. Wenn vor 2023 eine spanische Bank Hilfe brauchen sollte, kann Spanien nicht automatisch auf die Gelder im österreichischen Topf zugreifen.

Diese zaghafte Verschmelzung führt zu Kritik. "Die EZB kann künftig einer Bank zwar die Lizenz entziehen, sie hat aber wenig zu melden, wenn es darum geht, zu entscheiden, wer für die Kosten so eines Lizenzentzugs aufkommt", sagt der belgische Bankenexperte André Sapir. Die Gefahr besteht also, dass die EZB aufseherisch nur bedingt agieren kann. Damit bleibt es aber fraglich, ob die Zentralbank das Vertrauen in den angekratzten Bankensektor Südeuropas wiederherstellen kann. Dies ist ja eines der zentralen Anliegen der Bankenunion.

Schritt in die richtige Richtung

Sapir sieht die neue Aufsicht dennoch als Schritt in die richtige Richtung. Zwischen vielen regionalen Geldhäusern und der nationalen Aufsicht bestehe eine zu enge Verflechtung - ein Vorwurf, den es auch in der Causa Hypo Alpe Adria gab. Wenn die EZB in Frankfurt nun die Kontrolle übernimmt, stehen die Chancen gut, dass es zu einer Entflechtung kommt, so Sapir. Der Stresstest habe zudem gezeigt, dass Banken je nach ihrem Heimatland unterschiedlich bilanzieren. Die EZB könne für eine Vereinheitlichung sorgen.

Allerdings warnt der Ökonom vor überzogenen Erwartungen: "Durch die Zentralisierung der Aufsicht allein werden sicher keine Krisen verhindert werden." In den USA ist die Bankenaufsicht in der Hand der Bundesbehörden. Bekanntlich hatte die Finanzkrise 2008 dennoch in den Vereinigten Staaten ihren Ursprung. (András Szigetvari, DER STANDARD, 4.11.2014)