Ein Hauch von Stronach: Der Großindustrielle Cäsar Rupf will in Dürrenmatts "Romulus der Große" das Römische Reich freikaufen.

Foto: Manfred Michalke

Wien – Ein Hosenfabrikant will das Römische Reich vor der germanischen Machtübernahme retten. Seine Taktik ist erstaunlich modern: nämlich Rom schlicht und ergreifend aufzukaufen. Das Volk jubelt – endlich wird ein verlässlicher, mächtiger Zahler den Weltuntergang aufhalten. "Diese Stronach-Figuren gibt es immer und überall", meint Michael Michalke, Regisseur des Wiener Vorstadttheaters. Mit seiner Theatergruppe, bestehend aus Migranten und Migrantinnen, wird er Dürrenmatts Drama "Romulus der Große" am 6. November in der Sargfabrik zur Aufführung bringen.

Das Wiener Vorstadttheater versteht sich als "integratives Theater". Kernpunkt des Projekts ist die Arbeit für und mit gesellschaftliche(n) Randgruppen. Personen, die auch im Kulturbetrieb diskriminiert werden, wie Homosexuelle, Jugendliche oder alleinerziehende Mütter, kamen in den vergangenen Stücken des Wiener Vorstadttheaters zu Wort. Die Darsteller der diesjährigen Produktion kommen unter anderem aus Ägypten, Armenien und Nigeria und sind Bewohner des Integrationshauses Wien.

Form der Sprachförderung

Ein Teil des Ensembles gehört außerdem der kurdisch-türkischen Theatergruppe Potamir an. Die Gruppe möchte zweierlei Dinge bewirken, wie Romulus-Darsteller Recep Bektas erzählt: Als die Gruppe vor einigen Jahren gegründet wurde, wollte man durchs Theaterspielen einerseits die kurdische Sprache fördern. Als Mitglieder einer ethnischen Minderheit konnten viele Kurden ihre Sprache zwar sprechen, nicht aber lesen und schreiben. Andererseits wurde im Rahmen der Produktion "Sommernachtstraum" mit dem Wiener Vorstadttheater der Konflikt zwischen Türken und Kurden thematisiert. "Wir wollten zeigen, dass wir mit Kultur unsere Konflikte lösen können, das haben wir auch geschafft: Wir sind damals eine Gruppe geworden, in der wir keine Konflikte hatten", so Bektas.

Diese unterschiedlichen Nationalitäten und gesellschaftlichen Positionen bringen auch unterschiedliche Zugänge zu Dürrenmatts Werk. Ob man den Inhalt von "Romulus der Große" tragisch oder belustigend findet, liegt natürlich im Auge des Betrachters: Dürrenmatt kreiert in seiner unhistorischen Tragikomödie den Untergang des Römischen Reichs. Kaiser Romulus ist der freundlich lächelnde, gemächliche Herrscher, der das Reich durch seine Passivität ganz bewusst ins Verderben stürzt. Er hat einfach keine Lust, in irgendjemandes Namen Krieg zu führen. Auch wenn die Welt dabei untergeht – er pflegt lieber das schöne Hobby der Hühnerzucht.

Wie in einem Musikstück mit unterschiedlichen Tonarten wird in dieser Inszenierung die Sprache als Instrument behandelt. Die verschiedenen Betonungen und Sprachrhythmen der Darsteller bewirken eine Melodie, die Dürrenmatts Werk einen neuen Charakter verleihen. Die Unentschiedenheit zwischen Tragödie und Komödie wird deutlich: Ein sarkastischer Kommentar bekommt in kurdischer Betonung ungeahnte Schwermut. Die kolportierte Tragik wirkt für Dürrenmatts weltpolitisches Werk dann plötzlich auch viel passender.

Entstanden während des Zweiten Weltkriegs in Paris, beschreibt Dürrenmatt in "Romulus der Große" das universale Thema der gewalttätigen Unterdrückung. "Auf der Krim, im Nahen Osten, in Nigeria – das Thema der Okkupation und der Aggression ist leider mehr als aktuell, heute ideologisch bemäntelt durch religiöse Vorstellungen", so Michalke. Der Regisseur wird selbst in die Rolle des kapitalistischen Hosenfabrikanten Cäsar Rupf schlüpfen. Sein Charakter symbolisiert eine dritte Gewalt, nämlich die tiefgreifende Verflechtung von Macht und Geld – und was für eine reale Gewalt von ihr ausgeht. Cäsar Rupf erwartet sich nämlich quasi einen Warentausch: Er möchte die Tochter des Kaisers zur Frau erhalten.

Gegen jede Abhängigkeit

Genau dieser vorgebliche "Warencharakter" der Frau ist für die geborene Kurdin Mülkiye Kapan mit ein Grund, auf der Bühne zu stehen. Als Mitglied der Gruppe Potamir bedeutet Theaterspielen für sie nicht nur eine Form der Zusammengehörigkeit und damit Integration, vor allem ist es eine Möglichkeit, der eigenen Unabhängigkeit Ausdruck zu verleihen. "Das ist nicht nur Text, den man einfach auswendig lernt und spielt – wie du spielst und wie du dich präsentierst, das hängt genau von dir ab. Und das ist das Schönste: Du bist nicht abhängig. Du spielst so, wie du dich präsentieren willst." (Lina Paulitsch, DER STANDARD, 4.11.2014)