Jeden Monat steigt die Zahl der Arbeitslosen, diesen Oktober waren bereits 390.000 Menschen betroffen. Jeden Monat die gleiche Antwort der Politik: bedauerlich, aber Österreich stünde relativ gut da, eine Besserung erwarte man im nächsten Jahr oder halt später. Erwarten heißt warten.

Wie erklären Politiker ihre Apathie, sie sollten doch Probleme angehen? Erstens: Die Wirtschaftsforscher haben Jahr für Jahr einen Aufschwung erwartet, darauf hat man halt gewartet. Zweitens: Der Staat muss sparen. Drittens: Die Politik hat sich dem Markt anzupassen - "there is no alternative", (TINA) erklärte Thatcher schon vor 30 Jahren.

Demnächst wird eine halbe Million Menschen in Österreich arbeitslos sein. Noch vor zehn Jahren hätte dies die Politik in Aufregung versetzt, seither hat sich die TINA-Apathie weiter ausgebreitet, und man sieht die Dinge gelassener. Außerdem werden ja 80.000 Arbeitslose geschult. Das nützt leider wenig, wenn es an Arbeitsplätzen fehlt - der halben Million Arbeitsloser werden etwa 25.000 offene Stellen gegenüberstehen.

Schon seit 20 Jahren stagniert die Zahl der benötigten Arbeitsstunden: Der technische Fortschritt lässt die Produktivität weiter steigen, und das Wirtschaftswachstum geht zurück. Die Diskrepanz zwischen den von Wirtschaft und Staat nachgefragten und den von den Unselbstständigen angebotenen Arbeitsstunden wird immer größer. Also wird die Lebensarbeitszeit auf dreifache Weise verkürzt: durch Arbeitslosigkeit, durch Frühpensionierung und durch prekäre Beschäftigung (zumeist Junge und Frauen).

Wenn nun Ältere länger arbeiten, werden noch weniger Jobs für Junge frei. Ihre Deklassierung samt Umverteilung der Arbeitsstunden zu den Alten ist die in der EU verbreitetste und zugleich dümmste Anpassung an den Jobmangel: Sie treibt die Jungen in die Arme der national-sozialen Rechtspopulisten.

Würde sich die Politik von ihrer marktreligiösen Selbstentmündigung befreien, so könnte sie Großprojekte zur Überwindung der (Jugend-)Arbeitslosigkeit konzipieren und umsetzen - gerade jetzt, wo Europa wieder in eine Rezession zu schlittern droht. Hier nur zwei Beispiele.

Erstens: thermische Sanierung des gesamten Gebäudebestands in Österreich in einem Zeitraum von zehn Jahren. Angepeiltes Gesamtvolumen 100 Milliarden Euro, also zehn Milliarden oder drei Prozent des BIP pro Jahr, Reduktion der heizungsbedingten CO2-Emissionen um 50 Prozent. Im Gegensatz zu den bisherigen Förderungen muss für dieses Großprojekt mobilisiert werden durch eine breite Kampagne (Vorbild: Roosevelts New Deal): Österreich bekämpft den Klimawandel, schafft pro Jahr etwa 100.000 Arbeitsplätze und hinterlässt der nächsten Generation ein ökologisch verbessertes "Wohnkapital".

Als zusätzliche Anreize werden propagiert: erstens, die extrem günstige Finanzierung (zu einem Zins von zwei bis drei Prozent plus einer öffentlichen Förderung), da die Immobilien den Banken eine optimale Sicherheit bieten und der EZB-Zins noch lange bei null liegen wird. Zweitens, viele Besitzer der vor 1980 errichteten Häuser verfügen über erhebliches Sparvermögen. Anhaltend negative Realzinsen lassen es schmelzen, die ökologische Verbesserung des Hauses ist eine weit bessere Wertanlage.

Um die Umsetzung österreichweit in Schwung zu bringen, könnte die Förderung degressiv gestaltet werden, etwa so: Wer in den ersten beiden Jahren sein Haus saniert, bekommt 20 Prozent Zuschuss, danach sinkt dieser in mehreren Schritten auf zehn Prozent. Dies sollte als Initialzündung des Großprojekts wirken (die Österreicher lassen Förderungen ungern "liegen"). Netto wird der Staat gewinnen: Drei Milliarden Euro einer solchen Bauinvestition generieren (mindestens) 4,5 Milliarden Euro BIP (Multiplikatoreffekt). Daraus fließen dem Staat Einnahmen zu, welche ein Mehrfaches der Kosten der Förderung (600 Millionen Euro) betragen. Zwecks Budgetkonsolidierung muss in diesem Fall auf den Fiskalpakt gepfiffen werden.

Als Teil eines effizienten Projektmanagements könnten Banken für die Antragsteller nicht nur die Finanzierung übernehmen, sondern auch das Einholen von Kostenvoranschlägen, behördliche Genehmigungen etc. (Prinzip des "one-stop-shop"). Ein florierender "Markt Wärmedämmung" würde die Konkurrenz beleben und die Kosten senken.

Großprojekte angehen

Großprojekt 2: Umverteilung des Arbeitsvolumens von Alt zu Jung. Gedankenexperiment: Ein Ehepaar über 50, beide voll berufstätig mit Haus und keinen Schulden, ein Sohn ist seit längerem arbeitslos. Könnten sie ihm zu einem Job verhelfen, wenn sie selbst weniger Stunden arbeiteten, sie würden es tun. Was einem einzelnen Haushalt nicht gelingen kann, ist für das Gesamtsystem realisierbar: eine Umverteilung von Arbeitsstunden von den Älteren zu den Jungen.

Zur Umsetzung braucht es eine intensive Kampagne mit der Hauptstoßrichtung "Solidarität von Alt mit Jung" (statt die Generationen gegeneinander auszuspielen), eine Ausweitung des Tätigkeitsbereichs des AMS von der Jobvermittlung zum "Broker" mit Arbeitsstunden, Aufklärungskampagnen über die Vorteile für die Alten (mehr Freizeit bei höherem Nettostundenlohn, allein schon wegen der Steuerprogression) und für die Unternehmer (besserer Mix zwischen den "Energiegeladenen" und den "Erfahrenen"), Mobilisierung innerhalb der Unternehmerverbände und Gewerkschaften.

Es geht um Deals

Ähnlich wie bei den in der Krise erfolgreichen Kurzarbeitsmodellen geht es um "Deals" zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und dem Staat (AMS). Mit Letzteren sollte verhindert werden, dass aus Beschäftigten Arbeitslose werden, nun soll umgekehrt erreicht werden, dass aus jungen Arbeitslosen (oder "Prekären") normal Beschäftigte werden und Ältere auf Arbeitsstunden verzichten. Eine ungleich schwierigere Aufgabe, aber: Dynamik und Zusammenhalt einer Gesellschaft erfordern Entfaltungschancen der Jungen. TINA. (Stephan Schulmeister, DER STANDARD, 4.11.2014)