Auf den ersten Blick scheint es paradox. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Wirtschaft wächst in einem Tempo, das Europa neidisch machen kann. Und doch steht die Partei des US-Präsidenten bei den heutigen Kongresswahlen vor einer empfindlichen Niederlage. Stimmen die Umfragen, büßen die Demokraten Barack Obamas nun auch noch die Mehrheit im Senat ein, nachdem sie vor vier Jahren bereits die Kontrolle über das Repräsentantenhaus an die Republikaner abgeben mussten.

Schuld ist die Enttäuschung über die politische Klasse, deren Vertreter - in beiden Lagern - sich stur in ideologischen Gräben verschanzen, statt pragmatisch an Kompromissen zu feilen. Die Jungen, einst eine Säule der Obama-Koalition, kehren der Politik, in die sie im Aufbruchsjahr 2008 solche Hoffnungen gesetzt hatten, desillusioniert den Rücken zu. Gleiches gilt für die Hispanics, die fest mit einer Einwanderungsreform gerechnet hatten, damit Abermillionen illegaler Immigranten die rechtliche Grauzone verlassen können, und die nun verärgert erkennen müssen, dass dem Versprechen außer Stückwerk nichts folgte. Ergo ist das Amerika, das bei den Midterm-Elections an den Urnen erscheint, älter und weißer als das Amerika, das Obama zweimal ins Weiße Haus wählte - als führte eine Zeitreise zurück in die Achtzigerjahre. Und davon profitieren die Konservativen.

Gerade weil Obama so hohe Erwartungen weckte, ist die Ernüchterung umso größer. Angetreten als kühner Reformer, der verhärtete Parteienfronten auflockern wollte, entpuppte er sich als vorsichtiger Taktierer. Bisweilen wirkt er merkwürdig abgehoben, als habe er resigniert.

Nur muss Obama eben auch herhalten als Sündenbock für alles, was nicht so läuft, wie es sich die Wähler vorstellen. Die Republikaner bremsen und bremsen, mit ihrer Totalblockade im Parlament verweigern sie ihm echte Erfolge, wobei sie nicht verhehlen, dass sie genau dies bezwecken. Das macht sie nicht populärer, im Gegenteil. "The Party of No", irgendwann muss sie definieren, wofür sie eigentlich ist. Doch wenn er hadert, lässt der Wähler seinen Frust nun einmal an der Regierungspartei aus.

Drei Gründe vor allem sind schuld an der pessimistischen Grundstimmung. Erstens spüren viele Menschen vom Aufschwung so gut wie nichts. Seit Obama regiert, wurden zwar zehn Millionen neue Jobs geschaffen, doch das Realeinkommen einer Durchschnittsfamilie stagniert auf dem Stand von 1988. Viele hangeln sich von einem Zeitarbeitsplatz zum nächsten, was ein Gefühl permanenter Verunsicherung hinterlässt. Zweitens verstärken die Krisen der Welt, von der Ukraine bis zum Vormarsch islamischer Extremisten im Nahen Osten, den Eindruck, die Führungsmacht Amerika schaue nur noch ohnmächtig zu, während frühere US-Präsidenten die Geschicke des Planeten zu lenken verstanden. Nostalgisch, unrealistisch - aber durchaus ein Faktor in den Wahllokalen.

Drittens hat eine lange Pannenserie die Kompetenz des Kabinetts infrage gestellt und damit die Kompetenz der Demokraten, die sich ja als Anhänger eines (vergleichsweise) starken Staates verstehen. Die stümperhafte Umsetzung der Gesundheitsreform, Skandale in Kliniken für Kriegsveteranen, ein phasenweise wirres Krisenmanagement beim Umgang mit Ebola-Fällen: Nichts davon stärkt im Augenblick das Vertrauen in Uncle Sam. (Frank Herrmann, DER STANDARD, 4.11.2014)