Washington/Berlin/Donezk - Kiew hat sich entschlossen gezeigt, die von Separatisten gehaltenen Gebiete in der Ostukraine wieder in den Staatsverband einzugliedern. "Tatsächlich sind einige Regionen der Ostukraine unter Kontrolle von prorussischen Terroristen und russischen Truppen. Das sind aber ukrainische Regionen, und wir werden sie uns zurückholen", sagte Außenminister Pavlo Klimkin der deutschen "Bild"-Zeitung.

Klimkin warnte nach den umstrittenen Wahlen in den selbstproklamierten Volksrepubliken Donezk und Luhansk vor einem Zerfall der Ukraine. Kiew werde die Ostukraine wieder voll in seinen Machtbereich aufnehmen.

Poroschenko drohte mit Ende des Friedensprozesses

Am Montagabend hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko außerdem den Separatisten in ihren Hochburgen mit der Aufkündigung des Friedensprozesses gedroht. Er erwägt insbesondere, ein Gesetz zurückzunehmen, das den Separatisten für drei Jahre eine Teilautonomie und Amnestie gewährt. Das Gesetz habe darauf abgezielt, Unterstützung für den Frieden zu mobilisieren, sagte er. Doch hätten die Wahlen am Sonntag "den gesamten Friedensprozess in Gefahr gebracht".

Klimkin für Verschärfung der Sanktionen

Außenminister Klimkin forderte den Westen zu einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland auf. "Wenn die westliche Welt es will, dass Russland auf ihre Meinung Wert legt und die gemeinüblichen internationalen Regeln einhält, wäre ein logischer weiterer Schritt, mehr Druck auf den Kreml mit allen möglichen Mitteln auszuüben. Dazu gehören auch Sanktionsverschärfungen." Der in Minsk vereinbarte Friedensprozess sei durch die Abstimmungen in der Ostukraine vom Sonntag ins Wanken geraten, erklärte der ukrainische Politiker: "Ich weiß nicht, ob wir hier von einem vollen Scheitern sprechen können. Aber die Anerkennung der 'Wahlen' von Russland erschwert die weitere Erfüllung der Minsker Vereinbarungen erheblich."

USA erkennen Wahl nicht an

Nach der Europäischen Union verurteilten auch die USA die in der Ostukraine abgehaltenen Wahlen vom Sonntag als illegal und wollen sie ebenfalls nicht anerkennen. Die Abstimmungen seien "Scheinwahlen" und widersprächen der ukrainischen Verfassung und sämtlichen Wahlnormen, erklärte der Nationale Sicherheitsrat. Ähnlich kritisch äußerte sich das US-Außenministerium. Sprecherin Jen Psaki rief zudem Russland dazu auf, die Wahlen nicht zu respektieren, und warnte Moskau vor einer weiteren Isolierung. Noch deutlicher wurde eine US-Präsidialamtssprecherin: Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland würden erneut verschärft, sollte die Regierung in Moskau weiterhin ihre Zusagen aus dem Minsker Friedensplan missachten.

Russland: Dialog beginnen

Russland hatte erklärt, das Ergebnis der Wahlen anzuerkennen. Die Regierung in Kiew müsse ihre militärische "Anti-Terror-Aktion" für beendet erklären und mit den Anführern der Volksrepubliken einen gleichberechtigten Dialog beginnen, sagte Vize-Außenminister Grigori Karassin in Moskau. Die Wahlen hätten den Vertretern der Unruheregionen das Mandat für breite Verhandlungen mit der prowestlichen Zentralregierung gegeben. Karassin warnte den Westen vor neuen Sanktionen gegen Russland. Strafmaßnahmen seien im Ukraine-Konflikt "absolut kontraproduktiv", sagte er der Agentur Tass zufolge.

Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel drohte Russland mit einer neuen EU-Sanktionsrunde. "Wenn sich die Lage verschärft, kann es auch erforderlich werden, über eine erneute Verschärfung der Sanktionen nachzudenken", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.

Steinmeier warnt Moskau

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte Moskau davor, die Separatisten weiter zu ermuntern. "Ich hoffe, dass Russland jenseits der öffentlichen Erklärungen nichts unternimmt, um das Wahlergebnis zum Anlass zu nehmen, die Separatisten in der Ostukraine zu ermuntern, ihren Weg in die Unabhängigkeit tatsächlich fortzusetzen", so Steinmeier am Rande eines Besuchs in Indonesien. Die russische Haltung sei eine Belastung für den Entspannungsprozess in der Ostukraine.

Die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini äußerte allerdings Zweifel an der Wirksamkeit von Strafmaßnahmen. Diese wirkten sich zwar spürbar auf die russische Wirtschaft aus, sagte sie der "Süddeutschen Zeitung" vom Dienstag. "Aber die offene Frage ist immer noch, ob Moskau seine Politik deshalb ändern wird." Festhalten will Mogherini indes an den Strafmaßnahmen trotzdem. Die EU-Kommission werde in den kommenden Tagen über weitere Maßnahmen beraten, sagte sie der Zeitung. Zwar wäre es "großartig, Sanktionen abzubauen", allerdings würde dies bedeuten, dass die Krise in der Ukraine beigelegt sei. "Und das ist sie nicht."

4.000 Tote seit April

Bei den Kämpfen zwischen ukrainischen Regierungstruppen und den Separatisten starben seit April mehr als 4.000 Menschen. Trotz einer Waffenruhe kommt es fast täglich zu neuem Blutvergießen.

Angesichts der Lage hat der NATO-Oberbefehlshaber in Europa, Philip Breedlove, das US-Verteidigungsministerium um mehr Truppen und Ausrüstung gebeten. Wegen des zunehmenden Drucks in Osteuropa und der im Baltikum, in Polen und in Rumänien getroffenen Sicherheitsmaßnahmen seien zusätzliche rotierende Truppen nötig, sagte Breedlove am Montag laut einem Bericht des Magazins "Defense News". Er warnte, dass die Allianz sich in der Ukraine-Krise einem "strategischen Wendepunkt" mit Moskau nähere. Die sieben russischen Brigaden hätten die Grenze zu ihrem westlich gelegenen Nachbarland teils nahezu beseitigt. (APA, 4.11.2014)