Obwohl die Trauben-Silberkerze eine imposante Pflanze ist, dürften die meisten Menschen hierzulande sie eher in Form von Globuli, Tabletten oder Tropfen kennen. Sie wird nämlich gerne in der Homöopathie und Pflanzenheilkunde angewendet. Vor allem bei Frauenleiden, wie Menstruations- und Wechselbeschwerden, kommt sie häufig zum Einsatz, verspricht sie doch Linderung ohne Nebenwirkungen. Wirklich gesagt ist das allerdings nicht.
Schon rein optisch gibt die Trauben-Silberkerze eine Menge her: Ihre glänzend dunkelgrünen Blätter können bis zu einem Meter lang werden, und ihre Blüten sind erst recht spektakulär: Im späten Frühjahr und frühen Sommer wachsen bis zu zwei Meter lange Stängel, die über und über mit kleinen weißen Blüten übersät sind, was ihnen das Aussehen sehr hübscher Flaschenbürsten verleiht. Die Einzelblüten selbst bestehen hauptsächlich aus einer Menge Staubgefäßen und einem Stempel. Nicht ganz so toll ist ihr Duft: Sie sondern einen süßlich-verwesenden Geruch ab, der dazu dient, aasfressende Insekten als Bestäuber anzulocken. Die Früchte sind kleine braune Kapseln, die zahlreiche Samen enthalten.
Die Heimat der zur Familie der Hahnenfußgewächse gehörenden Trauben-Silberkerze ist das östliche Nordamerika, wo sie oft auf Waldlichtungen bis auf einer Seehöhe von 1500 Metern wächst. Den Winter überdauert sie in erster Linie in Form eines unterirdischen Wurzelstockes, der übrigens auch das Ausgangsmaterial für die aus der Pflanze gewonnenen Arzneimittel ist.
Die Anwendung von Actaea racemosa als Heilpflanze ist nicht neu: Die amerikanischen Ureinwohner verwendeten sie bereits zur Behandlung von gynäkologischen Beschwerden, aber auch gegen jede Menge anderer Leiden von Halsschmerzen über Rheuma bis hin zu Depressionen. Selbst gegen Schlangenbisse wurde die Pflanze eingesetzt, was ihr im Englischen auch den Beinamen Black Snakeroot (Schwarze Schlangenwurzel) eingetragen hat. Ein zweiter volkstümlicher Name, Bugbane (Wanzen-Fluch), bezieht sich, ebenso wie der lange Zeit gebräuchliche lateinische Name Cimicifuga (von "cimex", die Wanze, und "fugare", in die Flucht schlagen), auf ihre angeblich insektenvertreibende Wirkung.
Alternative zu Medikamenten
Heutzutage ist die Trauben-Silberkerze in erster Linie als Alternative zu verschreibungspflichtigen Medikamenten gegen Wechselbeschwerden im Einsatz, wo sie nachgewiesene Wirkung zeigt: Inhaltsstoffe ihrer Wurzeln binden offenbar an Östrogenrezeptoren und lindern - ähnlich wie eine Östrogentherapie - klimakterische Symptome wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit und depressive Verstimmungen. Die genaue Natur der wirksamen Inhaltsstoffe ist weitgehend unbekannt, jedoch gibt es die Vermutung, dass einige davon verschiedene Botenstoffe im Gehirn beeinflussen.
Einer der wichtigsten dieser Botenstoffe, der eine Hemmung des Zentralnervensystems bewirkt, ist unter dem Kürzel GABA bekannt, die Stellen, an denen er andockt, entsprechend als GABAA-Rezeptoren. An Letzteren setzen auch verschreibungspflichtige Schlafmittel, Tranquilizer und Antiepileptika an. Sophia Khom und Barbara Strommer vom Department für Pharmakologie und Toxikologie der Uni Wien untersuchten anhand des afrikanischen Krallenfrosches die Auswirkungen eines Inhaltsstoffes aus dem Silberkerze-Wurzelstock und konnten nachweisen, dass er rund sechsmal stärker wirkt als etwa das Psychopharmakon Diazepam.
"Der Naturstoff dürfte an allen GABA-Rezeptoren ansetzen, die es im Gehirn gibt", sagt Khom, "und damit die Erregbarkeit von Nervenzellen im gesamten Gehirn verringern." Mit dieser erwünschten Wirkung könnten allerdings auch unerwünschte einhergehen: So ist es denkbar, dass die wiederholte Einnahme von Silberkerze-Präparaten zu einer allzu großen Beruhigung führt, was unter anderem die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen könnte.
Auch wie lange die darin enthaltenen Substanzen im menschlichen Körper verweilen und welche Abbauprodukte sie bilden, ist noch ungeklärt, solange klinische Studien fehlen. "Der Schluss, dass Präparate aus der Trauben-Silberkerze automatisch frei von Nebenwirkungen sind, weil sie rein pflanzlich sind, ist jedenfalls nicht zulässig", wie Khom betont. (Susanne Strnadl, DER STANDARD, 5.11.2014)