Am 9. März 1944 begann in St. Georgen unter dem Tarnnamen "Bergkristall" der Bau einer der größten unterirdischen Rüstungsanlagen des Deutschen Reiches.

Foto: big/helga loidold

Linz – Die Diskussion, ob die Stollenanlage des einstigen NS-Rüstungsprojekts "Bergkristall" in St. Georgen an der Gusen tatsächlich größer als bisher bekannt ist, erreicht heute, Mittwoch, einen weiteren, vorläufigen Höhepunkt. In der Bezirkshauptmannschaft Perg trifft am frühen Nachmittag erstmals die vom Land Oberösterreich initiierte Expertenrunde am Runden Tisch zusammen.

Barbara Glück, Leiterin der Abteilung für KZ-Gedenkstätten und Kriegsgräberfürsorge im Innenministerium, Vertreter des Bundesdenkmalamtes, der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), der Wiener Historiker Bertrand Perz, der Bürgermeister von St. Georgen, Erich Wahl, sowie der Perger Bezirkshauptmann Werner Kreisl werden über die jüngsten Entwicklungen und mögliche Folgeschritte eingehend beraten.

Historische Fotos

Grund für den Bezirks-Aufmarsch der Fachleute sind die Recherchen des oberösterreichischen Filmemachers Andreas Sulzer. Dieser will unter anderem in einem Gutachten der "Studiengesellschaft für Atomenergie GmbH" aus dem Jahr 1968 konkrete Beweise für weitere Stollenebenen gefunden haben – der Standard berichtete. Vorlegen möchte Sulzer morgen aber auch historisches Fotomaterial, auf denen "klar und deutlich mehrere untereinander liegende Stolleneingänge zu erkennen sind." Doch bereits im Vorfeld hat sich rund um die möglichen neuen Erkenntnisse zum NS-Rüstungsprojekt "Bergkristall" ein heftiger Historikerstreit entbrannt. Für Bertrand Perz, stellvertretender Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der Uni Wien, ist bereits jetzt klar: "Es gibt kein Geheimnis. Die Geschichte rund um ‚Bergkristall‘ steht in ihren Grundzügen seit langem fest: Der Rahmen, die Eckdaten dieser Anlage und was dort vorgefallen ist, ist bekannt."

Der renommierte Grazer Historiker Stefan Karner – der zur Elefantenrunde in Perg zwar nicht geladen, von Filmemacher Sulzer aber zum teilnehmenden Experten seines Teams nominiert wurde – sieht hingegen eindeutigen Aufklärungsbedarf und rät, alle neuen Indizien "auf den Tisch zu legen" und entsprechend genau zu prüfen.

Ein Weg, den offensichtlich auch die heute für die Stollen zuständige BIG gehen möchte. "Wir erwarten uns von dem Termin, dass dort alle derzeit bekannten Unterlagen auf den Tisch gelegt werden. Danach prüft die Expertenrunde die Relevanz der Dokumente. Uns ist eine sachliche Aufarbeitung der Materie quasi ‚sine ira et studio‘ wichtig", betont BIG-Sprecher Ernst Eichinger. (Markus Rohrhofer, DER STANDARD, 5.11.2014)