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Wenn man die Zumutbarkeitsschwelle für Eltern mit Betreuungspflichten auf 20 Stunden anhebe, "würde das zwar die Betreuung etwas erschweren, aber die Vermittelbarkeit massiv erhöhen", sagt AMS-Chef Johannes Kopf.

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Wien - Angesichts des steilen Anstiegs von 111 Prozent bei den Langzeitarbeitslosen machte sich Vizekanzler Reinhold Mitterlehner am Dienstag vor dem Ministerrat dafür stark, die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik auf ihre Effizienz hin zu überprüfen, konkret will der ÖVP-Chef dabei auch die Zumutbarkeitsbestimmungen für Menschen ohne Job unter die Lupe nehmen. Im Detail nannte Mitterlehner dabei erträgliche Entfernungen zur neuen Arbeitsstelle.

Keine sieben Schritte entfernt von Mitterlehner kommentierte Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) den schwarzen Vorschlag prompt abschlägig: In der Obersteiermark etwa, so Hundstorfer, sei der starke Anstieg an Arbeitslosen damit zu erklären, dass zwei große Unternehmen zusperren mussten. "Das allein löst also das Problem nicht", so Hundstorfer. "Ob die Leute 50 oder 70 Kilometer Pendeln in Kauf nehmen müssen, nützt nichts, wenn es dort keine Jobs gibt."

Kaum 16-Stunden-Jobs

Noch deutlicher wurde der Kanzler nach der wöchentlichen Regierungssitzung, wo vor allem über die Lehren aus den Daten von Ende Oktober - 390.000 Arbeitslose - debattiert wurde. Ob am Ende von Mitterlehners angeregter Prüfung eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen stehen könnte? "Nein!", so SPÖ-Chef Werner Faymann auffallend vehement. Die gestiegene Arbeitslosigkeit liege ja nicht daran, dass die Menschen "fauler geworden sind" - und daher sollte man sie nicht auch noch "mit Zumutbarkeitsbestimmungen traktieren".

Doch damit ist Mitterlehners Vorschlag längst nicht vom Tisch. Denn AMS-Chef Johannes Kopf kann dem durchaus einiges abgewinnen. Wenn man längere Anfahrtswege für zumutbar erkläre, bringe das vor allem im ländlichen Raum etwas, sagt Kopf im Gespräch mit dem STANDARD. Mit der jetzigen Vorgabe, dass Hin- und Rückfahrt pro Tag maximal zwei Stunden (bei Teilzeitstellen sind es 1,5 Stunden) dauern dürfen, seien einige Jobs auf dem Land "nicht gut vermittelbar". Er könnte sich 2,5 Stunden vorstellen.

"Weiß, dass ich kritisiert werde"

Nachschärfen würde Kopf auch bei Arbeitskräften mit Betreuungspflichten, "auch wenn ich weiß, dass ich dafür kritisiert werde". Wer wegen der Betreuung von Kindern bis zum zehnten Lebensjahr nur eingeschränkt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, kann derzeit nur zur Aufnahme von Jobs im Ausmaß von 16 Wochenstunden verpflichtet werden. Kopf: "Das Problem ist: Es gibt kaum 16-Stunden-Jobs. Firmen bieten entweder Vollzeit- oder Halbtagsstellen an."

Wenn man die Schwelle daher auf 20 Stunden anhebe, "würde das zwar die Betreuung etwas erschweren, aber die Vermittelbarkeit massiv erhöhen", so Kopf. Außerdem sei die jetzige Regelung auch nicht wirklich im Interesse von Frauen, da Jobs mit nur wenigen Wochenstunden "karrieretechnisch eher eine Sackgasse sind".

AMS-Chef will "radikale Vereinfachung" bei Zumutbarkeiten

Dazu plädiert der AMS-Chef für eine "radikale Vereinfachung" der Zumutbarkeitsbestimmungen. Die Judikatur sei mittlerweile so komplex, dass der Vollzug für die Berater des Arbeitsmarktservice kaum mehr möglich sei.

Allerdings meint Kopf auch, das Thema werde gern überinterpretiert. Warum? "Betriebe stellen nur Leute ein, die wirklich wollen." Man dürfe sich von strengeren Regeln daher keine massive Senkung der Arbeitslosigkeit erhoffen.

In konkreten Zahlen gingen im Jahr 2012 15.816 Sperren des Arbeitslosengeldes im weiteren Sinne auf Zumutbarkeitsbestimmungen und damit auf ausgeschlagene Jobs zurück. Enthalten sind in dieser Anzahl aber auch Sperren nach verweigerten AMS-Kursen. Genaueres Datenmaterial dafür hat das AMS nicht, die Kursverweigerer seien aber "ein geringer Teil". Die Sperren gelten übrigens für sechs Wochen, im Wiederholungsfall für acht Wochen.

Auch die Wirtschaftskammer drängte am Dienstag auf eine "Evaluierung und Optimierung der Leistungen" für den Arbeitsmarkt. Der ÖGB hingegen wollte auf STANDARD-Anfrage die Zumutbarkeiten für Menschen ohne Job "nicht zu einem großen Thema machen". (Günther Oswald, Nina Weißensteiner, DER STANDARD, 5.11.2014)