Ruag Space baut Raumfahrt-Komponenten in Wien und Berndorf. Unter anderem wurde ein runder Isolationsschild für das Weltraumteleskop Gaia (rechts) entwickelt.

Fotos: Ruag Space, Esa

Wien - Am Anfang steht das Design. Die Anordnung von Chips, Speicherelementen, Leitungsbahnen muss geplant werden, bevor die Daten an den Platinenhersteller gehen. Die elektronischen Bauteile werden angeschafft, um später von den Roboterarmen der Pick-and-Place-Anlage punktgenau auf der Platine platziert zu werden. In einer sogenannten Vapor-Phase-Anlage wird das Ganze schließlich unter Heißdampf verlötet. Ein neuer Elektronik-Bauteil ist fertig.

Fast fertig. Denn die Computerkomponenten, die auf diese Weise in Reinräumen im 12. Wiener Gemeindebezirk entstehen, werden nicht Teil von Handys oder TV-Geräten. Sie sind Bestandteile von Instrumenten auf Satelliten oder Raumsonden. Beim Hersteller, dem Raumfahrtzulieferer Ruag Space muss man also mit aufwändigen Methoden dafür sorgen, dass die Elektronik den Anforderungen des Alls standhält. Ein normales Smartphone würde dort nicht lange durchhalten.

Die Bauteile müssen die Vibrationen eines Raketenstarts überstehen, vor extremen Temperaturschwankungen und Strahlung geschützt werden. Viele Durchläufe in Rütteltestanlagen und in Thermalvakuumkammern, die die Verteilung von Wärme unter Weltallbedingungen simulieren, sind nötig. Die Einsatzgeschichte jedes kleinsten Bauteils, jeder Schraube, wird genau protokolliert.

Von Rosetta zu "Bepi"

Ruag Space in Wien, ein Tochterunternehmen des Schweizer Ruag-Konzerns, hat etwa die Elektronik für das Instrument Midas an Bord von Rosetta gebaut, das unter der Führung des Grazer Instituts für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) entstanden ist. Und das Unternehmen war für die gesamte Thermalisolation der Sonde zuständig. IWF und Ruag gehören neben Magna Steyr, die Treibstoffleitungen für die Ariane-Raketen liefert, zu jener Handvoll von Entwicklern im Land, deren Produkte tatsächlich ins All fliegen.

Rosetta ist 2004 gestartet. In den Labors von Ruag und IWF wurden inzwischen viele weitere Projekte abgewickelt. Heuer, im Jahr, an dem Rosetta an ihr Ziel gelangte, arbeiten die Entwickler beispielsweise an der Technologie für die europäisch-japanische Mission Bepicolombo. Dabei werden zwei Sonden gemeinsam auf einem Trägerelement zum Merkur geschickt, um dessen Oberfläche, Atmosphäre und Magnetfeld zu untersuchen. 2016 soll die Sonde starten. Wie bei Rosetta müssen sich die Wissenschafter in Geduld üben, denn "Bepi" wird sechseinhalb Jahre unterwegs sein.

Es ist die erste Esa-Mission zum Merkur, und die bisher längste Distanz, bei der Europas Weltraumagentur elektrische Triebwerke - auch Ionenantrieb genannt - einsetzt. Mithilfe von Solarpanelen werden in den Triebwerken geladene Teilchen mit hoher Geschwindigkeit ausgestoßen. "Wir haben dabei die komplette Entwicklung der Positionierungsmechanismen und der dazugehörigen Ansteuerungselektronik übernommen", erklärt Ruag-Geschäftsführer Max Kowatsch. Auf der Antriebsplattform sitzen vier solcher Triebwerke, die unabhängig voneinander angesteuert werden. "Dahinter liegen komplexe Präzisionsmechanismen, die gestatten, das Triebwerk genau zu justieren, damit die Schubkraft in die gewünschte Richtung wirkt." Für die Wiener Ruag ist das der bisher größte Einzelauftrag.

Aber auch die Thermalisolation von Bepicolombo stammt wie jene von Rosetta von der Ruag. Mit den Folien, die den Thermalhaushalt der Sonde regeln, hat das Unternehmen bereits viele Raumflugkörper ausgerüstet. "Als Mission in das innere Sonnensystem ist Bepicolombo eine spezielle Herausforderung. Die Sonde muss dort Temperaturen von bis zu 450 Grad Celsius standhalten", betont Kowatsch. "Wir mussten neue Materialien und Verbindungstechniken zwischen den einzelnen Isolationselementen finden, um sicherzustellen, dass es keine Wärmelecks gibt."

Auch das IWF entwickelt mehrere Instrumente für Bepicolombo. Für die japanische Sonde wird ein sogenanntes Fluxgate-Magnetometer gebaut - eines der Vorzeigeinstrumente des IWF. Das Forschungsinstitut hat etwa vier Magnetometer für die Nasa-Mission MMS (Magnetospheric MultiScale) geliefert, bei der vier Satelliten die Dynamik der Erdmagnetosphäre erkunden. Auch im Merkur-Orbit soll das Gerät die räumlichen und zeitlichen Variationen im Magnetfeld genau vermessen. Die klassische Messtechnik aus Empfängerspulen und magnetischen Spulenkernen soll bald von neuartiger Lasertechnik abgelöst werden, erklärt IWF-Chef Wolfgang Baumjohann. Eine Neuentwicklung könnte in den 2020ern an Bord einer Esa-Sonde gen Jupiter fliegen.

Eines der erfolgreichsten Produkte der Ruag ist hingegen eine Elektronikbox in der Größe einer Schuhschachtel. Es ist ein Navigationsempfänger, der erlaubt, die Position von Satelliten im Orbit auf den Zentimeter genau zu bestimmen. "Man möchte wissen, wo der Satellit zum Zeitpunkt der Erfassung jeweiliger Daten war", so Kowatsch.

Eine erste Anwendung des Geräts, bestehend aus einem Computer mit Signalverarbeitungseinheit, die ein Hochfrequenz- in ein digitales Signal verwandelt, lag in der Meteorologie. Es galt, Störeffekte und Verzerrungen in den GPS-Signalen zu nutzen, um auf Größen wie Temperatur oder Feuchtigkeit in der Erdatmosphäre zu schließen.

Mit China rechnen

"Der größte Teil der Funktionalität lieg in der komplizierten Softwaretechnik", sagt Kowatsch. Allein in ihre Entwicklung seien bisher etwa 60.000 Ingenieursstunden geflossen. Zukünftig werde das Instrument mit Galileo, dem zivilen Geopositionierungssystem aus Europa, neue Bedeutung erlangen.

Alle Esa-Erdbeobachtungssatelliten der letzten zehn Jahre wurden mit dem Empfänger ausgerüstet. Auch für eine Nasa-Mission wurde er ausgewählt. 60 Prozent des Geschäfts der Ruag kommen aus Esa-Programmen, aber der weltweite, kommerzielle Markt wird wichtiger. "China ist ein schwieriger Markt, aber mit enormem Wachstum", sagt Kowatsch. "Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass China den ersten Menschen auf den Mars bringt." (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 5.11.2014)