Wenig romantisches Rendezvous zum gemeinsamen Sterben: Birte Schnöink und Christian Friedel in Jessica Hausners skeptischer Auseinandersetzung mit der Liebe, "Amour Fou", kurz vor Beginn des Beidermeier.

Foto: Stadtkino

Wien - Am 21. November 1811 erschoss der Dichter, Dramatiker und Publizist Heinrich von Kleist seine verheiratete Geliebte Henriette Vogel, bevor er die Waffe auf sich selbst richtete. Jessica Hausner erzählt in Amour fou die Vorgeschichte dieses Skandals der Zeit kurz vor dem Beginn des Biedermeier.

"Würden Sie mit mir sterben wollen? Sie würden mich damit sehr, sehr glücklich machen", mit dieser gewagten, heute würde man vielleicht sagen: "Anmache", versucht der depressive Poet sein Glück bei den Damen der besseren Gesellschaft Berlins. Nachdem er von seiner Cousine einen Korb bekommt, findet er mit der jungen Mutter Henriette Vogel tatsächlich eine Frau, die nicht ganz abgeneigt ist. Kleists Bild der eher naiven Henriette beruht dabei ganz offensichtlich auf Projektionen. Er sieht sie wie sich selbst nur als "Zaungast in diesem Leben" und spricht ihr die Liebe von und zu ihrer Familie ab. Auch wenn das nicht oder nur zum Teil der Wahrheit entspricht: Das Gift seiner Worte tut seine zersetzende Wirkung.

Narzisstisches Unterfangen

"Love conquers all", die Liebe siegt über alle widrigen Umstände, so lautet die Botschaft der angloamerikanisch geprägten Romantic Comedy. Amour fou ist die vielleicht schwärzestmögliche romantische Komödie, die man sich vorstellen kann: Hier siegt die Liebe - oder zumindest die unbedingte Sehnsucht nach ihr - sogar noch über das Leben. Das Verrückte an dieser Amour fou ist, dass sie nicht einer anderen Person gilt, sondern der Liebe selbst - ein im Endeffekt rein narzisstisches Unterfangen.

Die immer wieder eingestreuten Diskussionen im Salon der Familie Vogel über die geplante Steuerreform in Preußen stehen dabei nur oberflächlich betrachtet im Gegensatz zum oben beschriebenen romantischen Kern der Geschichte. Das trockene Thema erklärt weniger, warum Kleist die Gegenwart "ohne jeden Reiz" erscheint, als dass es auf die Voraussetzungen für die Entstehung eines romantischen Liebesbegriffs hinweist. Hing doch die Abschaffung des Adelsprivilegs und die damit einhergehende Besteuerung aller Stände eng zusammen mit dem Aufstieg des Bürgertums im 18. Jahrhundert - der die Grundlage bildete für die Entstehung unseres modernen Liebesverständnisses.

Als "Essay über die Ambivalenz der Liebe" bezeichnet Hausner selber passend ihren Film. Damit befindet sie sich auch in anderer Hinsicht auf den Spuren Kleists, der selber ein Meister des Essays war und in seinen Texten oftmals wahre Geschichten als Ausgangspunkt nahm, um daraus allgemeine Erkenntnisse abzuleiten. Die Österreicherin spitzt in ihrem vierten Spielfilm die historische Vorlage allerdings hier und da zu, damit sich der Reigen der Missverständnisse ganz bis zum bitteren Ende der Beziehung von Heinrich und Henriette weiterdrehen kann.

Sturm und Projektion

Spannend ist der direkte Vergleich mit Dominik Grafs Die geliebten Schwestern über die Liebe Friedrich Schillers zu den Schwestern Charlotte und Caroline von Lengefeld, der eine Woche nach Amour fou starten wird. So nah sich beide Filme in Bezug auf Zeit, Milieu und in der intelligenten Verknüpfung des Themas Liebe mit Politik und Gesellschaft sind, so sehr unterscheiden sie sich doch in ihrer Sicht auf die Liebe. Gibt es bei Graf ein authentisches Stürmen und Drängen, eine Lust am Leben und der Liebe wider alle Konventionen, so überwiegt bei Hausner die Skepsis. Sie betont die Gefahren der Projektion und des Selbstbetrugs, die jeder Beziehung innewohnen.

Diesen grundlegenden Zweifel daran, ob wir die Distanz, die uns von anderen Menschen trennt, mithilfe der Liebe wirklich überwinden können, vermitteln sie und ihr Stammkameramann Martin Gschlacht nicht zuletzt über die minutiös austarierte Bildgestaltung. Die meist in Innenräumen agierenden Schauspieler wirken beinahe ebenso statisch wie die Möbelstücke, die sie umgeben. In der Malerei des Biedermeier und besonders im Genre des für diese Epoche im deutschsprachigen Raum so typischen Zimmerbildes finden sich ähnlich klare Kompositionen und dieser geradezu klinische Blick auf das Private wie in den digitalen HD-Bildern von Amour fou.

Wo im Biedermeier die fast fotorealistischen Abbildungen jedoch die großbürgerliche oder adelige Lebenswelt immer auch idealisierten, bietet Hausners Film einen gnadenlos entlarvenden, aber ebenso trocken komischen Blick auf die menschliche Fehlbarkeit. (Sven von Reden, DER STANDARD, 6.11.2014)