Keiner serbischen Regierung seit der demokratischen Wende im Jahr 2000 ist es gelungen, die Justiz nach EU-Standards zu reformieren. Pompös angekündigte Reformen entpuppten sich im Nachhinein meist als Versuch regierender Parteien, den eigenen Einfluss zu erhöhen. Die aktuelle Regierung von Premier Aleksandar Vucic wollte vorerst keine große Justizreform durchziehen. Sie wollte nur den Notardienst in Serbien einführen - und stieß schon damit auf zähen Widerstand der Anwaltskammer: Seit zwei Monaten streiken nun über 8000 serbische Rechtsanwälte - und das Justizsystem ist derweil gelähmt.

"Skandalöses Gesetz"

Der Streik der Rechtsanwälte ist der erste ernstzunehmende Ausstand in der Geschichte Serbiens, das keine Gewerkschaftstradition im westlichen Sinne hat. Anlass sei, sagt der Anwaltskammervorsitzende Dragoljub Djordjevic, das "skandalöse Gesetz", das eine Monopolposition für vom Staat eingesetzte Notare im Eigentumsrecht vorsehe. Die Bürger hätten so - etwa beim Kauf einer Wohnung - nicht mehr die Wahl, sich einen Rechtsvertreter auszusuchen, sondern seien auf den staatlich zugeteilten Notar angewiesen. Außerdem seien bei Eigentumsfragen nun nur noch von Notaren ausgefertigte Verträge rechtsgültig, die von Rechtsanwälten hingegen nicht mehr.

"Das ist offene Korruption, denn der Staat kassiert so nur 20 Prozent der Gerichtstaxen, den Rest kassieren die Notare", sagt Djordjevic. Die Anwälte sprechen zudem von "zweifelhaften" Kriterien bei der Vergabe der dafür nötigen Staatslizenzen für die insgesamt 93 mittlerweile beglaubigten Notare in Serbien.

"Schergen der Tycoons"

Der Streit ist längst außer Kontrolle geraten. Die Regierung versucht durch politischen Druck, den Streik zu brechen. Kritische Medien gibt es kaum, und die Ministerpräsident Vucic ergebenen Blätter berichten von Rechtsanwälten als "geldgierigen Schergen der Tycoons", als "verlängerter Hand der Mafia", die nur das Ziel verfolgten, Vucic zu entmachten.

Die Rechtsanwälte behaupten dagegen, nicht nur für die eigenen Rechte zu kämpfen, sondern für die Bürgerrechte an sich, die das Notariatsgesetz verletzte. (Andrej Ivanji aus Belgrad, DER STANDARD, 6.11.2014)