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Die deutschen Lokführer planen einen Streik nie dagewesenen Ausmaßes.
Berlin – Verspätungen, Zugausfälle, überfüllte Wagen, genervte Pendler: Zum sechsten Mal in drei Monaten haben die deutschen Lokführer Donnerstagfrüh die Arbeit niedergelegt. Der längste Lokführerstreik in der Geschichte der Deutschen Bahn könnte am Ende sogar die Autofahrer treffen. Die Deutsche Bahn sprach Donnerstagvormittag von massiven Beeinträchtigungen im Personenverkehr.
Nach dem Güterverkehr bleiben seit 2 Uhr auch im Fern- und Regionalverkehr und zum Teil bei der S-Bahn die Züge stehen. Der Streik soll am Montag um 4 Uhr enden, hieß es von der Lokführer-Gewerkschaft GDL.
ÖBB-Züge nach Deutschland betroffen
Bei den ÖBB sind von dem Streik nur Züge von Österreich nach Deutschland betroffen. Es seien etwa 20 Züge, "von denen wir wissen, dass sie nicht so fahren können wie geplant", so ÖBB-Sprecher Michael Braun am Donnerstag zur APA. Innerhalb Österreichs gebe es nur "ganz geringe oder keine spürbaren Auswirkungen".
Betroffen sind die ICEs von Wien Westbahnhof nach Deutschland: Sie fahren über Passau nach Frankfurt planmäßig, enden aber dort. Manche von ihnen hätten nach Dortmund weiter fahren sollen. Die Züge von Klagenfurt und Graz via Salzburg ins Saarland enden schon in Salzburg, drehen dort um und fahren wieder zurück. Der Nachtzug Wien-Prag-Berlin fährt auch in der Nacht auf Freitag, endet allerdings schon in Dresden. Der Nachtzug Wien-Hamburg wird allerdings so wie in der Nacht auf heute gestrichen. Von Österreich aus die Städte München und Frankfurt weiter erreichbar seien.
Die Bundesbahnen informieren Fahrgäste am Wiener Westbahnhof sowie in Linz, Salzburg und Innsbruck vor Ort. "Als kleines Trostpflaster" gibt es Mannerschnitten. Wer vom Bahnstreik tatsächlich betroffen ist, soll im Fall der Fälle sein Geld zurückbekommen, wird versichert.
Die Deutsche Bahn reagierte mit Ersatzfahrplänen, um die wichtigsten Verbindungen aufrechtzuerhalten.
Arbeitsgericht: Streik rechtmäßig
Der Streik ist nach einem Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt rechtmäßig. Der Antrag der Deutschen Bahn auf ein Verbot des Ausstands wurde abgelehnt, sagte Richterin Ursula Schmidt am späten Donnerstagabend.
Die Bahn kann gegen die Entscheidung in Berufung gehen bei der nächsthöheren Instanz, dem Hessischen Landesarbeitsgericht. Wann dort verhandelt werden würde, war unmittelbar nach der Urteilsverkündung unklar.
Im Güterverkehr begann der Ausstand bereits am Mittwochnachmittag, zu dem Zeitpunkt hatte die GDL ein Schlichtungsangebot des Konzerns abgeschmettert und mit noch längeren Streiks gedroht.
Benzin könnte knapp werden
Deutsche Auto- und Lkw-Fahrer müssten sich wegen der Ausfälle im Güterverkehr spätestens am Wochenende darauf einstellen, dass das Benzin an einigen Tankstellen knapp wird, hieß es aus der Logistikbranche.
Bei der Kraftstoffversorgung "wird es aus meiner Sicht auf jeden Fall Engpässe geben, zumal ja auch das Aufkommen im Individualverkehr erhöht sein wird", sagte Gunnar Gburek vom deutschen Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik dem Sender MDR Info. Raffinerien hätten Probleme, die Tankstellen zu beliefern. Gburek rechnet "spätestens Sonntag oder Montag" mit Problemen. In einigen Branchen werde es "auf jeden Fall Produktionsausfälle" geben.
Kämpferischer Gewerkschafter
"Wir werden zu keinem Zeitpunkt unsere Grundrechte an der Garderobe abgeben, um dem Arbeitgeber Deutsche Bahn einen Gefallen zu tun", sagte GDL-Chef Claus Weselsky zum Streikauftakt am Mittwoch. Er warf dem Konzern eine Blockade vor.
Je nach Region trifft der Streik die Kunden im Regionalverkehr unterschiedlich. In West- und Norddeutschland fahre noch etwa jeder dritte Zug, in Süddeutschland sogar 40 Prozent, im Osten dagegen nur 15 bis 30 Prozent des üblichen Angebots. Dort ist die GDL am besten organisiert.
Im Fernverkehr sind am Donnerstagvormittag zwei Drittel der Fernzüge ausgefallen. Der Ersatzfahrplan laufe aber weitgehend stabil, teilte das Unternehmen elf Stunden nach Streikbeginn im Personenverkehr mit. Fahrgäste müssten sich zwar auf Ausfälle und Verspätungen einstellen, könnten aber trotzdem relativ verlässlich planen.
GDL stellt noch längeren Streik in Aussicht
Die GDL will mit dem Streik im Tarifkonflikt mit der Deutschen Bahn den Druck erhöhen. Sie fordert für die Beschäftigten fünf Prozent mehr Geld und eine kürzere Wochenarbeitszeit und will neben den Lokführern auch das übrige Zugpersonal in Verhandlungen vertreten, für das bisher die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft verhandelt.
Die Deutsche Bahn will konkurrierende Tarifverträge für einzelne Berufsgruppen verhindern. Sie hatte am Mittwoch vergeblich versucht, die Gewerkschaft zu einer Schlichtung in dem Tarifkonflikt zu bewegen. Sie kritisierte den Streik als maßlos, respektlos und verantwortungslos. Auch Mahnungen der deutschen Regierung änderten nichts.
"Wir müssen so reagieren, weil die bisherigen Aktionen nicht zum Erfolg geführt haben", sagte der Vorsitzende des GDL-Bezirks Berlin-Sachsen-Brandenburg, Frank Nachtigall, der "Berliner Zeitung". Zugleich brachte er einen noch härteren Streik ins Spiel: Es sei "im Bereich des Möglichen, dass die nächste Aktion für eine noch längere Zeit angesetzt wird".
Streik zum Jahrestag des Mauerfalls
Der Streik fällt zusammen mit den Feiern zum 25. Jahrestag des Mauerfalls, zu denen in Berlin hunderttausende Besucher erwartet werden, und mit dem Ferienende in Bremen und Niedersachsen. Viele Reisende setzen erneut auf Fernbusse und Mitfahrzentralen. Die Anbieter verzeichnen Rekordanfragen. Wer zunächst kein Ticket mehr für eine bestimmte Strecke bekommen hat, braucht etwas Geduld. "Interessenten sollten immer wieder im Internet nachschauen, weil weitere Kapazitäten aktualisiert werden", sagte der Sprecher des Bundesverbands Deutscher Omnibusunternehmen. (APA, red, 6.11.2014)