Noch bin ich es selbst ... und plötzlich bin ich es nicht mehr. Eine kleine Zeitverzögerung bewirkt, dass man die selbstgesteuerte Berührung am Rücken durch einen Roboterarm als fremde Präsenz fühlt.

Foto: Alain Herzog/EPFL

Bei dem Versuch kam ein sogenannter Master-Slave-Roboter zum Einsatz. Den vor ihm befindlichen "Master" berührten die Probanden mit den Fingern, hinter ihnen befand sich der zugeschaltete "Slave". Beide Teile der Apparatur gaben den Probanden taktiles Feedback - entweder synchron oder mit einer kleinen Zeitverzögerung. Im asynchronen Modus fühlten die Probanden eine fremde "Präsenz", zudem glaubten sie hier nach hinten zu driften. Im synchronen Modus hingegen fühlten sie sich leicht nach vorne versetzt, das Gefühl einer Präsenz blieb hier aus.

Illustration: Current Biology

Lausanne/Wien – In den 1970er-Jahren sorgte der US-Psychologe Julian Jaynes für Aufsehen, als er den Wohnsitz der Götter gefunden zu haben glaubte: nicht auf dem Olymp, sondern im menschlichen Gehirn. Gemäß seiner Hypothese der "bikameralen Psyche" habe den Menschen bis etwa zum Beginn der Antike ein Metabewusstsein gefehlt. Dadurch seien gehirneigene Vorgänge als von außen kommende Befehle interpretiert worden - als Stimmen der Götter. Bis heute gilt diese Hypothese als hochkontroversiell.

Von einer ganz anderen, aber nicht minder verblüffenden Weise, auf die unser Gehirn etwas vermeintlich Fremdes aus uns selbst hervorzaubern kann, berichten Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne im Fachmagazin "Current Biology". Ihre aus Gehirnuntersuchungen gewonnenen Erkenntnisse konnten sie durch ein Laborexperiment bestätigen, bei dem ein Roboter zum Einsatz kam.

Unsichtbare, aber fühlbare Präsenzen

Und zwar ging das Team um Olaf Blanke dem Phänomen von "Präsenzen" nach, die manche Menschen in ihrer Nähe zu fühlen glauben. Stets am Rande der Wahrnehmung, nicht sichtbar, aber deutlich zu spüren, werden solche vermeintlichen Präsenzen gerne als "Geist" oder auch als "Schutzengel" interpretiert. Als Beispiel führen die Forscher einen Bericht Reinhold Messners an - nicht als er den Yeti zu sehen glaubte, sondern als er sich bei einem Abstieg vom Nanga Parbat zusammen mit seinem Bruder von einem dritten Kletterer begleitet fühlte.

Derlei Berichte sind von Menschen in Extremsituationen ebenso bekannt wie von Patienten, die unter Bewusstseinsstörungen leiden. Zwölf solcher Patienten untersuchten die Schweizer Forscher unter anderem mittels Magnetresonanztomografie. Dabei stellten sie im Vergleich zu gesunden Menschen Abweichungen in drei Hirnregionen fest, die zusammen für die Sensomotorik maßgeblich sind, also das Zusammenspiel der Bewegungssteuerung mit der Wahrnehmung äußerer Reize. Das wiederum ist entscheidend für unsere Selbstwahrnehmung und das Gefühl, an welcher Position im Raum wir uns befinden.

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Um die empfindliche sensomotorische Balance auf eine andere, reproduzierbare Weise zu stören, entwickelten die Forscher um Blanke eine einfache Versuchsanordnung: Gesunde Probanden bedienten mehrere Minuten lang mit dem Finger einen Apparat, der sie zeitgleich zu jeder ihrer Handbewegungen über einen Roboterarm am Rücken berührte (siehe die Bilder links). Solange dies synchron geschah, hatten die Probanden das Gefühl, sich selbst am Rücken zu berühren.

Ein Fremder ist im Raum

Das änderte sich deutlich, sobald die Forscher eine Zeitverzögerung von einer halben Sekunde einbauten. Nun schien die Berührung am Rücken plötzlich von außen zu kommen. Die Probanden schilderten im Anschluss, deutlich die Präsenz von jemand anders in ihrer unmittelbaren Nähe gefühlt zu haben. Und das, obwohl sie sich des Versuchsaufbaus und der Funktionsweise des Roboters von Anfang an voll bewusst gewesen waren und auch gewusst hatten, dass sich keine Person in ihrer Nähe befand, wie Blanke gegenüber dem STANDARD präzisiert. Und trotzdem empfanden einige Probanden laut Studienautor Giulio Rognini die Erfahrung als so unangenehm, dass sie den Versuch an dieser Stelle sogar abbrechen wollten.

Das Geheimnis liegt laut Blanke also in der Dissonanz sensorischer und motorischer Signale. Das Gehirn hat eine bestimmte Erwartung, welche Sinneseindrücke mit welchen Bewegungen korrespondieren. Wird das Verarbeitungsschema dieser Signale gestört - etwa durch eine Krankheit, einen vorübergehenden geistigen Ausnahmezustand oder hier eben durch künstliche Erzeugung einer Dissonanz -, können selbstverursachte Reize einer äußeren Quelle zugeschrieben werden.

Unser Gehirn erschafft verschiedene Repräsentationen unseres Körpers im Raum, wie Rognini erklärt. Im Normalfall stehen diese in Einklang miteinander. Wenn es aber zu einem Konflikt in der Signalverarbeitung kommt, können sie sich nicht mehr zu einem einheitlichen Gesamtbild ergänzen. Ein Teil wird gewissermaßen ausgelagert - es entsteht die Illusion einer fremden Präsenz. (Jürgen Doppler, DER STANDARD, 7. 11. 2014)