Würden Sie ein Medikament nehmen, bei dem sich die Wissenschaften nicht einig sind, ob es jetzt dem Organismus eher schadet oder hilft? Wohl kaum, denn wenn es darum geht, wieder gesund zu werden, dann wollen wir schon auf die sicher positive Wirkung von Substanzen vertrauen können. Und würden Sie in ein Auto einsteigen, von dessen Marke bekannt ist, dass manche Fahrzeuge direkt beim Fahren plötzlich massive Probleme verursachen, die einen schweren Unfall nach sich ziehen können. Wohl kaum. Würden Sie das Ihren Kindern empfehlen oder sonst irgendjemandem? Sicher nicht. Finden Sie russisches Roulette einen erstrebenswerten Zeitvertreib? Und würden Sie Ihrem Nachwuchs raten, das doch auch einmal zu probieren, vielleicht weil das ja eh gut 500.000 Menschen auch machen?

Es gibt sicher noch andere Feinheiten des Lebens, die von noch viel mehr Menschen gemacht werden (kriminellen Organisationen beitreten, Kriege führen, andere entführen und was wir heute noch so alles in den Medien erfahren dürfen). Aber wenn das so viele machen, dann sollte das natürlich auch gesellschaftlich akzeptiert sein, entkriminalisiert werden, als positiver Bestandteil in die Gesellschaften integriert werden.

Die ganze Diskussion um die Freigabe von Drogen (welcher auch immer) geht in eine ähnliche Richtung. Aber wer Forscher befragt oder zumindest deren Studien lesen würde, der würde rasch erfahren, dass die Studienergebnisse seit Jahren zeigen, dass es hier noch immer nicht möglich ist, eindeutige und klare Antworten zu geben - auch und insbesondere keine solchen, die eine unbedenkliche Konsumation von z. B. Cannabinoiden erkennen lassen.

Komasaufen? Unfug!

Die Diskussion über die Freigabe "leichter" Drogen ignoriert die hohe Unsicherheit der Effekte der Einnahme völlig. Der ständig und gerne zitierte Vergleich mit der Schädlichkeit des Komasaufens als viel gefährlicherem Handeln ist Unfug. Natürlich hat eine Atombombe eine verheerendere Wirkung als eine einzige Kugel aus dem Pistolenlauf. Aber für denjenigen Menschen, den sie trifft, ist das eigentlich völlig wurscht. Erwischt ist erwischt.

Das Risiko für pubertierende Gehirne in einer massiven Psychose zu landen, wenn Cannabinoide auf es einwirken, ist da. Und auch, wenn die Zahl derer, die es erwischt, klein ist - niemand kann im Voraus festlegen, wen es erwischen wird. Und ob die "genetisch bedingte" Neigung zur Psychose zum Cannabiskonsum führt oder der Cannabiskonsum zur Psychose, ist schon wieder so eine erbärmliche Henne-Ei-Diskussion, die uns überhaupt nicht weiterbringt.

Die versteckte und eigentlich (da unbewusste) gefährliche Botschaft der ganzen Diskussion über die Freigabe an die Jugendlichen ist aber, dass es doch eh irgendwie ungefährlich ist, Cannabis zu nehmen, weil es ja eh viel gefährlichere Substanzen gibt - und 500.000 Menschen und vor allem die Experten können doch nicht irren. Rechtfertigung des Aufwands können auch Menschengruppen betreiben, also wenn ich etwas mache, dann muss es doch richtig sein, denn ich kann doch nicht irren. Doch, kann man. Und es wäre auch wichtig zu sehen, in welcher Art Expertentum die so gerne zitierten Experten stecken. Selektive Wahrnehmung und selektive Auswahl von Experten gehen hier gerne Hand in Hand.

Klar sollen Abhängige nicht auch noch kriminalisiert und ausgegrenzt werden. Aber wie viele der gerne zitierten 500.000 sind denn nicht irgendwo tief in sich der Meinung, dass diejenigen, die es nicht geschafft haben, "richtig" mit Drogen umzugehen, doch irgendwie selbst schuld sind?

Cannabis gilt nicht zu Unrecht als Einstiegsdroge, aber vielleicht ist es eh schon der Tabak? Ich selbst hatte viel mit Menschen zu tun, die im Drogenkonsum einen Fluchtweg aus der überfordernden Welt suchten, dort natürlich nicht fanden, weil ein Gehirn in jedweder Berauschung keinerlei sinnvolle Lernerfahrung machen kann - außer dass das Belohnungszentrum übertölpelt wird und mehr davon haben will.

Aber so wie Ratten lieber Kokain haben wollen, statt etwas zu fressen, und dabei durchaus verhungern, genauso kümmert sich das "selfish brain" nicht um die Folgen von Handlungen, wenn das Bewusstsein und die Frontallappenkontrolle ausgehebelt sind. Die Idee, etwas eh kontrollieren zu können, bei gleichzeitigem Abschalten der Kontrollinstanz, ist ja eigentlich gar nicht einmal mehr lustig. Drogen sind immer Betrug am Gehirn!

Und wie immer gilt: Mit dem Kleinen fängt es oft an, und nicht alle können dann die Schräge im Abrutschen kontrollieren. Aber wer konkret zu dieser Gruppe gehören wird, kann niemand im Voraus mit irgendeiner Sicherheit sagen. Daher ist diese ganze Diskussion lediglich ein Glaubenskrieg unterschiedlicher parareligiöser Ansätze - und nicht mehr. Und wer sich wirklich mit den Studien beschäftigen möchte, um sich vielleicht erst einmal zu informieren, wie der Stand der Dinge denn wirklich ist, der braucht ja nur zu googeln. Da kann man dann schon erschlagen werden, von so viel Information. Aber die selektive Wahrnehmung war ja immer schon Rettungsschirm schlechthin.

Wer glaubt, dass die Freigabe für über 18-Jährige an Apotheken nicht erst recht die Zielgruppe der unter 18-Jährigen für Dealer interessant macht (endlich einmal ein echter Wachstumsmarkt), hat offenbar noch nicht erfahren, dass die pubertäre Entwicklung des Gehirns erst so mit 25 Jahren abgeschlossen ist und dass das, was da rauskommt, auch nicht gerade das Gelbe vom Ei ist - wie man an den Argumenten feststellen kann.

Und in keiner Droge ist das Wissen um den "richtigen" Umgang damit quasi automatisch mit eingebaut. Wenn wir eine Gesellschaft wollen, in der die Menschen mit Drogen nicht allzu schädigend umgehen können, dann müssen die Menschen das auch gut lernen, denn jedes Gehirn kann nur das, was es gelernt hat und nicht, was es sich selbst wünscht oder andere wünschen. Diese Reife hatten wir als Gesellschaft aber noch nicht einmal mit Weihrauch, und das wäre die eigentlich zu führende Diskussion. Alles andere ist Quatsch. Amen. (Johann Beran, DER STANDARD, 7.11.2014)