Gleich zu Amtsantritt die erste Sünde: Die Frauen in der schwarzen Regierungsriege müssen in der zweiten Reihe stehen.

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Molterer, Pröll, Spindelegger: Als Parteiobleute waren sie einst rasch zur Stelle, doch alle drei dann ganz plötzlich wieder weg. Am Samstag inthronisiert die ÖVP Reinhold Mitterlehner hochoffiziell als 16. Obmann der Zweiten Republik - und zwar in der Wiener Eventlocation Metastadt.

Hat Mitterlehner das Zeug zum nächsten Kanzler wie Schüssel, der ab der Jahrtausendwende nicht nur die Partei, sondern sogar das gesamte Land für sieben lange Jahre fest im Griff hatte? Oder ist er bloß der nächste Kurzzeitchef, bis sein Stellvertreter Sebastian Kurz ein würdiges Alter erreicht hat, um ihn zu beerben?

Viel hängt davon ab, ob der 58-jährige Mühlviertler die schlimmsten Sünden seiner Vorgänger wiederholt - oder ob er von diesen lassen kann. Zumindest einigen Versuchungen hat Mitterlehner bereits widerstanden.

  • Maßlosigkeit Dem Trio vor seiner Amtszeit reichte die Obmannschaft samt Vizekanzlerei nicht, nein, zu alledem musste auch noch die Oberhoheit über die Staatsfinanzen her - und so rieben sich die schwarzen Multichefs zwischen Partei, Koalitionspartner, Finanzministerium auf. Fazit: Molterer war nach knapp eineinhalb Jahren Geschichte, Pröll nach knapp zweieinhalb Jahren, Spindelegger nach drei Jahren und drei Monaten. Mitterlehner dagegen stellte gleich klar, dass er Wirtschaftsminister bleibt - und dass er nun schleunigst einen fähigen Finanzminister braucht.
  • Hörigkeit Schon allein mit den mächtigen Landeshauptleuten hat so ein ÖVP-Chef genug zu tun. Mitterlehners Vorteil: Anders als Pröll und Spindelegger wurde er nicht von Erwin Pröll "gemacht". Doch auch mit der Blockierfreudigkeit von schwarzen Gewerkschaftern und Bünden ist der Weg zur eigenständigen Linie noch ein weiter. Denn daran, dass die ÖVP im Grunde nicht eine Partei ist, sondern aus vielen kleinen besteht, soll sich auch künftig nichts ändern. Noch bevor die Programmreform richtig in Gang gekommen ist, hielt Mitterlehner antizipierten Ängsten vor zu viel Neuerung entgegen: "Es geht nicht darum, etwas abzuschaffen!" Sollte heißen: schon gar nicht die Bünde.
  • Trägheit Den internen Reformprozess hatten freilich auch andere vor Mitterlehner für sich entdeckt. Manche mehr (der lebenslustige Pröll und seine "Perspektiven"), manche weniger glaubwürdig (der entfesselte Spindelegger mit seinem "Unternehmen Österreich 2025"). Geblieben ist von beidem wenig. Mitterlehner unterlässt mit dem "Evolutionsprozess" zwar die Todsünde der Faulheit, darf aber - bedrängt von Grünen und Neos - nicht wieder nur Reformpapiere für die Schublade produzieren: Durchdachte Positionen, etwa zu den leidigen Debatten über Familienformen und Schulreformen, müssen her. Besser durchgegenderte Familienfotos von der ÖVP-Regierungsriege wären auch nicht schlecht - siehe Bild!
  • Streitsucht Blockieren, junktimieren, brüskieren: Als widerspenstiger Juniorpartner machte die ÖVP dem Koalitionspartner SPÖ das Regieren bisher nicht leicht. Auf die Spitze trieb diesen Selbstzerstörungstrip Wilhelm "Es reicht!" Molterer, als er 2008 wegen guter Umfragewerte Neuwahlen vom Zaun brach. Das desaströse Ergebnis: 25,98 Prozent für die ÖVP - und bis dahin schwächster Wert seit Gründung der Partei. Spindelegger unterbot diese Marke 2013 dann mit 23,99 Prozent. Statt auf Exzesse setzt der sozialpartnerschaftlich geprägte Mitterlehner mit Kanzler Faymann nun darauf, Arbeitsgruppen, Kommissionen, Enqueten mit den unzähligen rot-schwarzen Streitfragen zu befassen - und zwar von der Kleinkindpädagogik über die Steuerreform bis hin zur Sterbehilfe.
  • Neid Wer einer christlichen Partei vorsteht, muss auch sozial sein. Angesichts des Anstiegs von Asylwerbern und Langzeitarbeitslosen braucht die ÖVP sicher keine Debatten wie einst über Rehleinaugen und soziale Hängematten, denn: Das Schüren von Sozialneid ist Teufelszeug - Finger weg davon!
  • Stolz In der jüngeren ÖVP-Geschichte prägte Schüssel den Führungsstil, der da lautete: Entscheiden tut der Chef - und zwar einsam und alleine. Ein frustrierter Weggefährte fasste die ähnlich autoritäre Haltung Molterers so zusammen: "Hände falten, Gosch'n halten!" Auch Spindelegger bunkerte sich mit fortschreitender Amtszeit ein, hörte nur auf wenige und wirkte dabei streckenweise auch noch beratungsresistent.
  • Zorn Nicht wenige ÖVP-Chefs offenbarten einen gewissen Hang zu Verbalinjurien. Man denke nur an die "richtige Sau!", mit der einst der deutsche Bundesbankpräsident betitelt wurde. Auch Mitterlehner wird ein kurzer Geduldsfaden, dafür eine umso heftigere Neigung zu Ausbrüchen nachgesagt, auch wenn er sich bisher in der Öffentlichkeit keine solchen Blößen gab. Doch merke stets: "Lasse die Sonne nie über deinem Zorn untergehen!" (Karin Riss, Nina Weißensteiner, DER STANDARD, 7.11.2014)