Hikmet Ersek (Präsident und CEO der Western Union), Nikolaus Griller (Vertriebschef im Familienbetrieb Gebauer und Griller), Susanne Schober-Bendixen (Vorstand Baxter) und Markus Latzke (Assistenzprofessor an der WU Wien).

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Die Junge Industrie hat gemeinsam mit Strategieberater Roland Berger 170 heimische Topführungskräfte befragt, wie Chefs von morgen aussehen (sollen): charismatisch, mit noch mehr Auslandserfahrung bestückt, weiblicher, teamorientierter. Die Herkunft, also der gute alte Stallgeruch, werde dagegen unwichtiger, kristallisierte sich heraus - lebensbegleitenden Lernen wichtiger.

Gemeinsam mit dem Nachwuchs der Industriellenvereinigung stellten sich kürzlich in Wien Hikmet Ersek, Topchef der Western Union, Nikolaus Griller, Vertriebschef im Familienunternehmen und Vorstand in der Jungen Industrie, Baxter-Vorständin Susanne Schober-Bendixen und WU-Forscher Markus Latzke einer persönlichen Auseinandersetzung mit diesen Ergebnissen zur "Future Leadership".

"Future Leadership ist nie erreichbar, deswegen heißt es ja Future ...", postuliert Hikmet Ersek pragmatisch. Er ist überzeugt, dass jemand, der "nicht führen will, nicht ganz oben bleibt" und hält Innenschau: "Als ich ganz an die Spitze gerufen wurde, dachte ich auch: I can walk on water. Das war natürlich nicht so."

Authentizität und kontinuierliche Verbesserung

Es gehe immer darum, sich kontinuierlich zu verbessern, so Susanne Schober-Bendixen. Dies brauche strukturelle Möglichkeiten, weil so auch die Kritikfähigkeit des Selbst und die Kritikwilligkeit des Umfeldes erhalten blieben.

Charisma, in Zeiten großer Sehnsucht nach Leadership bei gleichzeitig enormer Kritik der Geführten und der Führenden selbst, erschien erneut als etwas Ungreifbares: Fällt es vom Himmel? Entsteht es durch den Status im Corner-Office?

"Charismatisch zu sein heißt für mich authentisch zu sein", sagt Hikmet Ersek und illustriert, wie er das macht: "Die Leute, die ich einstelle, sind gescheiter und besser als ich, und ich habe davor auch keine Angst. Viele sitzen ja im Corner-Office und versuchen, ihre Position zu verteidigen." Jeder spürt, ob Chefs authentisch sind, so Nikolaus Griller – es könne auch nicht gelingen, der Belegschaft Sinn zu vermitteln, wenn es an der Spitze an Authentizität fehlt. Bloß irgendwelche "Managementinstrumente" zu betätigen, sei ja wohl nicht der Inhalt von Führung: "Das heißt nicht, dass man alles selber tun muss, aber das Management sollte zumindest über die sogenannten Kleinigkeiten und Details sprechen können."

Von Charisma bis Narzissmus

Markus Latzke denkt beim Begriff "Charisma" etwa an Steve Ballmer und weist darauf hin, dass solche Persönlichkeiten auch die Gefahr in sich tragen, pathologische Seiten des gesunden Narzissmus und des Charismas zu entfalten. Latzke: "Mir gefällt die selektive Authentizität: also nix vorspielen, aber auch nicht so sein, wie man halt grad ist."

Ob es der großen Zeitansager bedürfe in all der Sehnsucht nach Leadership – wo doch andauernd das Zeitalter der Helden ganz oben für beendet erklärt wird und Teamentscheidungen, Partizipation ganz "in" sind?

Laut Studie der Jungen Industrie sagen mehr als 80 Prozent der derzeit amtierenden Spitzenmanager, dass sie im Team entscheiden würden. Glaublich? Latzke kontert mit der weltweiten Globe-Studie, wonach etwa in Deutschland seit Ausbruch der Krise 2008 die partizipative Entscheidungsfindung sehr stark zurückgegangen ist.

Nikolaus Griller lenkt den Blick zudem auf eine wesentliche Seite: "Angenehme Dinge werden gern partizipativ entschieden. Sehr unangenehme dagegen – da hat man dann doch recht gern eine einzige Entscheidungsadresse.

Der Preis von Führungsjobs

In einer Gesellschaft, in der Führung hohes Ansehen genießt und Führungsjobs am besten bezahlt werden, lasse sich leicht vergessen, dass es "nicht nur um Nettes" geht, so Schober-Bendixen. Viele kämen da voller Überraschung drauf und wollten das dann nicht. Möglicherweise ein Aspekt, warum gern vorgeworfen wird, dass Führung nur dann passiere, wenn sonst nichts mehr zu tun ist – also eh nie. Und sich Führungskräfte zurückziehen statt nahbar zu sein.

Und wie lernen die Podiumsgäste? Hikmet Ersek hat Mentoren auf C-Level und geht mit den Mitarbeitern spazieren. Ob er noch nach Davos zum Weltwirtschaftsforum fahre, überlege er – geschuldet der modernen Netzwerkkultur via Social Media.

Apropos, da warnen alle: Nur ein bisserl twittern und irgendwelche Headlines erzählen gehe gar nicht. Ersek: "Das hängt auch damit zusammen, dass heute verlangt wird, Entscheidungen klar zu kommunizieren, zu begründen." Kurz: Formalisiertes Lernen dürfte im Corner-Office weniger bedeutend sein, informales dafür umso wichtiger. Und immer wieder der Rat an den Nachwuchs: "Holen Sie sich Leute, die Ihnen die Meinung sagen, statt Sie nur zu streicheln." Und zu hofieren, könnte man ergänzen.

Selbstverantwortung

Befragt zum Thema Work-Life-Balance, argumentieren alle mit der Selbstverantwortung, nicht mit Stunden. "My work is my destiny", sagt Hikmet Ersek. Nikolaus Griller hat seine Vorbildwirkung live erlebt: "Nachdem ich in Vaterkarenz war, wurden es bei uns in der Firma deutlich mehr."

Die Basis der Selbstreflexion, der Selbsterkenntnis, bringt Susanne Schober-Bendixen auch bei diesem Thema wieder ins Spiel: "Ich weiß, dass ich manuelle Betätigung brauche – ich bin ausgebildete Tierärztin, jetzt koche ich gerne, nähe Quilts." Latzke spielt zwei- bis dreimal pro Woche Fußball. Wenn es in und mit der Arbeit überwiegend Spaß mache, dann gelinge eben auch Balance leichter. Sicher einfacher für Positionen, die nicht mit der Stechuhr überwacht werden. (Karin Bauer, ManagementStandard, November 2014)