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Protestaktion in Dublin gegen die Bankenhilfen und das Rettungsprogramm von Eurozone und IWF im September 2010.

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EZB-Chef Jean-Claude Trichet. Er drängte Irland unter den Rettungsschirm.

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Der inzwischen verstorbene frühere irische Finanzminister Brian Lenihan bei einem Treffen der EU-Finanzminister im November 2011.

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Wien/Dublin – Nach einem jahrelangen Streit zwischen Irland und der Europäischen Zentralbank (EZB) war es diese Woche so weit: Die EZB hat ohne großen Theaterdonner zwei an die irische Regierung gerichtete Schreiben aus dem Herbst 2010 auf ihrer Website veröffentlicht. Der damalige EZB-Chef Jean-Claude Trichet fordert in den Schreiben den damaligen irischen Finanzminister Brian Lenihan dazu auf, die Flucht unter den Eurorettungsschirm anzutreten.

Der Inhalt der Briefe war den Grundzügen nach bekannt. Schon 2010 hatten irische Medien berichtet, wie die EZB Druck auf Dublin ausübt. Doch die nun publizierten Schriftstücke bieten einen einmaligen Einblick in das Krisenmanagement auf dem ersten Höhepunkt der Eurokrise. Deutlich wird, wie groß der Einfluss der Europäischen Zentralbank Ende 2010 geworden war.

Drohungen

Die Währungshüter in Frankfurt haben direkt in die Politik eingegriffen und Entscheidungen erzwungen, die an sich Sache gewählter Parlamente und Regierungen in der EU gewesen wären. Darüber, ob die EZB nun einfach getan hat, was nötig war, oder sie in Wahrheit nur die Gläubiger irischer Banken – allen voran deutsche Institute – und sich selbst schützte, wird nun heftig gestritten.

Die beiden Schriftstücke der EZB sind von Trichet am 15. Oktober und am 19. November verfasst worden. Brisant ist vor allem das zweite Schreiben. Irland solle umgehend um einen milliardenschweren Kredit bei den Euroländern und dem Währungsfonds ansuchen, schreibt Trichet.

Das Land solle sich zudem einem Sparprogramm unterwerfen und sich zu umfassenden Wirtschaftsreformen verpflichten. Die Aufforderung ist mit einer handfesten Drohung verbunden: Sollte sich Dublin weigern, werde die EZB die Nothilfen für die irischen Krisenbanken umgehend einstellen.

Als die Party zu Ende ging

Um die Brisanz der Dokumente und die Bedeutung der Drohung zu verstehen, ist ein Blick zurück notwendig. Die irischen Banken hatten seit der Jahrtausendwende ein gigantisches Wachstum hingelegt. Die Geldhäuser, allen voran die Anglo Irish Bank, investierten vor allem in den boomenden irischen Kreditmarkt, aber auch in Immobilienprojekte im Ausland, in Großbritannien und den USA. Das System funktionierte, solange die Kreditinstitute sich an den Finanzmärkten billig refinanzierten.

2008 war die Party zu Ende: Die Immobilienpreise in Irland brachen ein, die Wirtschaft geriet ins Stottern, das Vertrauen in die Bank war über Nacht weg. 2008 musste die irische Regierung zu einer ersten Rettungsaktion ausrücken. Ende September gab Finanzminister Lenihan eine Blankogarantie für die Banken im Land ab: Zwei Jahre lang würde der Staat für alle Schulden der Geldhäuser haften, so Lenihan. Mit dieser Garantie sollte das Vertrauen in die Banken wiederhergestellt werden.

Die Sache ging aber gründlich schief. Ab Jänner 2009 musste der irische Staat nach und nach ein Institut nach dem anderen rekapitalisieren, auch die Anglo Irish wurde verstaatlicht.

EZB als Rettungsanker

Da am Markt keine Kredite mehr zu holen waren, mussten sich diese Banken, um ihre Schulden begleichen zu können, zusehends über die EZB finanzieren. Zugleich begann die irische Notenbank eine eigene Operation, um die Institute zu stützen. Im Euroraum ist es eigentlich Aufgabe der EZB, Geld zu schöpfen. In Krisensituationen dürfen aber auch die nationalen Notenbanken im Rahmen der Emergency-Liquidity-Assistance (ELA) Geld schaffen, um damit Kreditinstituten zu helfen. Voraussetzung dafür ist, dass die EZB dieses Vorgehen genehmigt.

Irlands Notenbank pumpte seit 2009 unerlässlich Geld in Anglo Irish und andere Banken. 2010 beliefen sich die gesamten Hilfen für den Bankensektor – also via ELA und Kredite der EZB aus Frankfurt – auf 140 Milliarden Euro, rund 90 Prozent der irischen Wirtschaftsleistung.

Zweidrittelmehrheit

Im November hatten Trichet und der EZB-Rat genug. In dem Schreiben drohen sie damit, die ELA an Irland zu stoppen. Zwei Drittel der Ratsmitglieder können per Votum verhindern, dass eine nationale Notenbank selbst die Geldpresse anwirft. Diese Stimmen hatte Trichet offenbar.

Hätte die EZB die Iren aber gestoppt, hätte dies das Ende des Landes in der Eurozone bedeutet. Den irischen Banken wäre das Geld ausgegangen. Weder Kredite noch Kunden hätte man auszahlen können. Die einzige Möglichkeit, um das Chaos wenigstens zu begrenzen, wäre ein Euro-Austritt gewesen. Dies wollte die irische Regierung nicht – weshalb sie tatsächlich kurz nach Erhalt des EZB-Schreibens ein Hilfsansuchen stellte. Irland erhielt letztlich einen Kredit über 67,5 Milliarden Euro von der Eurozone und dem Internationalen Währungsfonds und setzte ein Sparprogramm an.

Flucht unter den Schirm

Die EZB hat Irland also offensichtlich erpresst. Die große Frage ist: War das berechtigt, und warum hat die Zentralbank überhaupt diesen Druck ausgeübt?

Zu diesen Fragen gibt es mehrere Narrative. Zunächst jene Version, die einige der profundesten Ökonomen in Dublin, wie etwa Morgan Kelly, teilen und die dem STANDARD auch irische Regierungsbeamte bestätigt haben: Nach dieser Darstellung der Geschehnisse wollte die irische Regierung im Herbst 2010 keine Finanzhilfe nehmen, zumindest nicht für den Staat selbst.

Irland hatte genug Finanzmittel, um sich noch rund ein Jahr selbstständig über Wasser zu halten. Finanzminister Brian Lenihan spekulierte darauf, ein Rettungspaket für den Bankensektor ohne weitere Auflagen für das Land zu bekommen. Ein Grund dafür war, dass damals auch Spanien unter Druck stand. Die Eurozone musste zeigen, dass man fähig war zu handeln, um an den Finanzmärkten Druck von Madrid zu nehmen. Das ging nur, wenn es eine Einigung mit Dublin gab – aber vor diesem Hintergrund war die Verhandlungsposition Irlands eben nicht so schlecht.

Beteiligung der Banken

Das irische Finanzministerium prüfte damals zudem Wege, auch einige der Kreditgeber der Banken stärker zur Kasse zu bitten. Der IWF unterstützte dieses Vorhaben. Aber: Für die großen Kreditgeber des Landes war das gefährlich. Größter Gläubiger Irlands war damals hinter Großbritannien Deutschland. Deutsche Institute hatten rund 40 Milliarden Euro an Darlehen an irische Geldhäuser vergeben, die Kredite an Irland beliefen sich insgesamt auf 100 Milliarden.

Die deutschen wollten keine Verluste hinnehmen, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann drängte im Herbst ganz offen auf ein Rettungspaket für den Inselstaat. Aus all diesen Erwägungen – Spanien, Verluste für deutsche Banken – soll die EZB schließlich Dublin zur Flucht unter den Rettungsschirm gedrängt haben.

Der Vorteil aus Sicht der Frankfurter: Damit konnte die Troika (EZB, Euroländer und IWF) direkt die irische Politik beeinflussen. So musste Irland sich etwa strikt dazu verpflichten, die Schulden seiner Banken zu tragen. Der Staat wurde kapitalisiert, damit er für die Banken geradestehen konnte. Damit war auch die Euro-Zentralbank vor Verlusten abgesichert.

EZB allen Staaten verpflichtet

Die EZB freilich argumentiert etwas anders: Irland habe nicht mehr allein weitermachen können. Zunächst weil dem Staat selbst das Geld ausgegangen wäre – die Risikoaufschläge für die irischen Staatsschulden seien 2010 schon bedrohlich gestiegen. Die EZB sei zudem allen Euroländern gegenüber verpflichtet, und die Kreditvergabe an die irischen Banken habe ein zu großes Ausmaß angenommen. Jeder vierte Euro, der im Währungsraum an Krediten durch das EZB-System vergeben wurde, wanderte Ende 2010 schließlich zu den irischen Banken. Die ökonomische Vernunft habe also erfordert, dass gehandelt wird.

Ökonomen wie Karl Whelan aus Dublin finden diese Argumentation wenig schlüssig. Er kritisiert etwa, dass die Forderungen der Euro-Zentralbank viel zu weitreichend waren. Warum hat Trichet den Staat nicht einfach aufgefordert, die Banken zu rekapitalisieren, warum die Sparauflagen, fragt sich der Ökonom. Richtig ist aus Sicht der Zentralbank, dass man durch das Hilfspaket die Last auf mehrere Schultern verteilt hat und auch die übrigen Euroländer – darunter Irland – für den Inselstaat Geld bereitstellen mussten.

Fix ist, dass mit der Veröffentlichung der Briefe ein langer Streit zu Ende geht. Seit Jahren hatten irische Medien drauf gedrängt, die Briefe publik zu machen. Zuletzt hatte auch die EU-Ombudsfrau Emily O'Reilly, die Missstände in EU-Institutionen verhindern soll, auf eine Veröffentlichung bestanden. Trichet hat dies noch vor zwei Jahren bei einem CNN-Interview strikt abgelehnt. (András Szigetvari, derStandard.at, 7.11.2014)