"Boxer" (1964): Gemeinsam mit Polke und Richter kreierte Konrad Lueg die Ironie eines "kapitalistischen Realismus".

Foto: Sammlung Kaspar Fischer, Bochum © VG Bild-Kunst, Bonn

"Wir zeigen erstmalig in Deutschland Bilder, für die Begriffe wie Pop-Art, imperialistischer oder kapitalistischer Realismus, German Pop und einige ähnliche kennzeichnend sind." 1963 waren das große Worte für eine Ausstellung in einem ganz kleinen Ladenlokal in Düsseldorf am Rhein. Eigenhändig hatten die Künstler die Schau organisiert. Sie hießen Gerhard Richter, Wolfgang Kuttner, Sigmar Polke, Konrad Lueg. Und die Schau nüchtern Grafik und Malerei Sonderausstellung.

Nun, mehr als 50 Jahre später, zeigt die Frankfurter Schirn-Kunsthalle mit German Pop eine große Überblicksschau dieser Kunsttendenz. Diese trat nicht als Schule auf, war dafür aber zutiefst inspiriert worden von der Pop-Art. Aus Großbritannien und vor allem aus den Vereinigten Staaten hinübergeschwappt, wirbelte sie ab 1964 in mehreren Wanderausstellungen die noch immer von der abstrakten Malerei dominierte Szene durcheinander. Und zwar kräftig, lustig, bös karikierend und zwischen Elvis, Vietnamkrieg, Coca-Cola und Rudi Dutschke pseudo-harmlos oszillierend.

In vier Sektionen sind die 150 Arbeiten unterteilt, gemäß den vier Zentren und deren Wichtigkeit für die deutsche Variante, Rezeption und Weiterverarbeitung der Pop-Art: Düsseldorf, Berlin, Frankfurt am Main und München.

Düsseldorf nimmt den größten Platz ein mit Arbeiten von HP Alvermann, Peter Brüning, dem etwas älteren Akademielehrer Winfried Gaul, der rasch die Kurve nahm zum Hard-Edge-Painting, und Konrad Klapheck mit seinen heroisch dargestellten Maschinen, Schuhen und Telefonen. Dazu Konrad Luegs noch immer bitterböses Doppelporträt Herr und Frau S, Gerhard Richters Unschärfe-Wohlstands- und Glamourbilder sowie Sigmar Polkes Ironisierungen von Werbung und Konsum des Banalen.

Berlin mit K. P. Brehmer und Werner Berges, Hermann Albert und Lambert Maria Wintersberger ist malerischer gewesen. Wolf Vostell stand mit seinen Collagen und Montagen Dada und Hannah Höch kunsthistorisch nahe. Und K. H. Hoedicke agierte damals schon avant la lettre als Stammvater der Jungen Wilden vom Berliner Moritzplatz.

Travestie der Gesellschaft

In Frankfurt am Main wandten Thomas Bayrle und der früh verstorbene Peter Roehr mit Raffinesse die Pop-Art-Methoden an, Roehr in beklemmender Serialität, Bayrle mit seinen Regenmänteln, limitierten tragbaren Multiples, als Travestie der Wohlstands-, Wegwerf- und Plastikgesellschaft.

Die Pop-Station München, zugleich Abschluss der Schau, ist am wenigsten verspielt. Vielmehr verquält, auch verquast. Schwer. Grotesk. Die in Schwabing existierenden, rasch zerfallenden Gruppen wie Spur, Wir oder Geflecht experimentierten mit Teilen des popkünstlerischen Instrumentariums. Und Künstler wie Heimrad Prem, der 1978 auf besonders grausame Weise aus dem Leben schied, Lothar Fischer oder HP Zimmer schwankten unentschiedener als andere zwischen Ablehnung und Umarmung.

Mehr als nur etwas arg überzogen mutet allerdings der Versuch an, die Pop-Art aus Deutschland als politischer zu werten als jene aus England oder den USA, als gründlicher zivilisations- und kapitalismuskritisch. Unter der Hand also als teutonisch tiefgründelnd. Eine These, die die Arbeiten nicht recht stützen wollen.

Ohne Rekordhonorare

Was hingegen German Pop gänzlich abging, und das führt die Ausstellung subkutan vor, war Zynismus à la Andy Warhol: Oberflächliches plan eindimensional darzustellen und dafür Rekordhonorare einzustreichen.

Auffallend ist, dass Pop-Kunst aus deutschen Landen eine Männersache war. Auch durchaus eine Macho-Angelegenheit - wie bei Hermann Albert. Und Erotik gänzlich unerotisch, fast schon in der Art der 1950er-Jahre. Mit der heuer im April verstorbenen Ludi Armbruster, der seit 1975 in Frankreich ansässigen Bettina von Arnim, die als einzige Science-Fiction, Kubrick, Cyborgs wahrnahm, und Christa Dichgans, in den 1960er-Jahren mit Hoedicke verheiratet und mit ihren Stillleben um mehr als ein Vierteljahrhundert "Hello Kitty" vorwegnehmend, sind gerade einmal drei Frauen vertreten.

Umgekehrt erstaunlich zu sehen und merkwürdig vom Kuratorenteam um Martina Weinhart unterschlagen: Nahezu ein jeder der Anti-Establishment-Kombattanten konnte sich im Lauf des folgenden Jahrzehnts mit dem Titel "Professor" schmücken. (Alexander Kluy, DER STANDARD, 8.11.2014)