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Julian Baumgartlinger rennt am 15. November gegen Russland und drei Tage später gegen Brasilien durch das Happel-Stadion.

Foto: AP/Punz

Standard: Sie legen pro Match zwölf und mehr Kilometer zurück. Mögen Sie den begrenzt originellen Vergleich mit dem batteriebetriebenen Hasen aus der Werbung, der läuft und läuft und läuft?

Baumgartlinger: Er stört mich nicht. Es ist eben meine Art und Weise, Fußball zu spielen. Man nennt mich nicht nur Hase, sondern auch Laufwunder und Pferdelunge. Diese Schubladen passen.

Standard: Woher kommt diese Laufbereitschaft? Es wirkt, als würden Sie gerne an allen Aktionen beteiligt sein. Haben Sie ein Helfersyndrom?

Baumgartlinger: Mag sein. Verantwortungsgefühl und Hilfsbereitschaft sind bei mir absolut vorhanden. Ich kümmere mich gerne um die Leute neben mir, auch abseits des Fußballs. Ich will den Ball haben, in seiner Nähe sein, Zweikämpfe führen, die Kollegen unterstützen, wenn sie gerade in einer schwierigen Situation alleine sind.

Standard: Auf das Gefühl, selbst Tore zu schießen, müssen Sie allerdings verzichten. Wurmt Sie das?

Baumgartlinger: Nein, ich bin kein Egomane. Bevor ich einen Torschuss abgebe, schaue ich, ob es nicht eine bessere Lösung gibt. Ich bin definitiv kein Torjäger, aber es steht auf meiner Agenda, es in meiner weiteren Karriere öfter selbst zu probieren.

Standard: Sie haben sich im Schatten eines David Alaba zum Führungsspieler im Nationalteam gemausert. Das Rampenlicht überlassen Sie anderen. Ihr Verein Mainz gilt als eher beschauliche Adresse, Mediengetöse findet anderswo statt. Brauchen Sie eine gewisse Ruhe, um sich sportlich zu entwickeln?

Baumgartlinger: Es ist für mich wichtig, dass ein Verein ein familiäres Umfeld hat. Ich könnte aber auch damit leben, wenn jeden Tag zehn Journalisten auftauchen.

Standard: Was zeichnet Führungsspieler aus?

Baumgartlinger: Es kommt nicht darauf an, wie viel über einen geschrieben wird. Namen sind egal. Es geht darum, im Training und während der Partie präsent zu sein, du musst verlässlich deine Leistung bringen. Mir gelingt das.

Standard: Welche soziale Rolle nehmen Sie im Nationalteam ein?

Baumgartlinger: Ich verstehe mich gerne mit allen, bin ein kommunikativer, fast harmoniesüchtiger Typ. Ich muss nicht anecken, sage aber meine Meinung, würde nie über Leichen gehen.

Standard: Die Partien gegen Russland und Brasilien, also Pflicht und Kür, stehen an. Wie groß ist die Vorfreude, und wie sehr beschäftigt Sie der Ausfall von Alaba?

Baumgartlinger: Es ist ein zweigeteilter Lehrgang, es geht nur um Russland, die EM-Qualifikation ist das Ziel, das ist das Um und Auf. Da darf Brasilien keine Rolle spielen. Brasilien ist ein i-Tüpferl, ein netter Test, etwas Schönes. Aber nicht ansatzweise so wichtig wie Russland. Ob ich Brasilien genießen kann, hängt vom Ergebnis gegen Russland ab.

Standard: Und Alaba?

Baumgartlinger: Es muss ohne ihn gehen. Tragisch, dass es passiert ist, aber es ist völlig normal. Verletzungen gehören dazu, auch bei Ausnahmespielern. Der Ausfall ist schlecht für uns, aber wir haben einen guten Kader, gerade im zentralen Mittelfeld sind wir dicht besetzt. Als ganzes Team werden wir das kompensieren.

Standard: Als einziges europäisches Land ist Österreich heuer noch ungeschlagen. Wie stark ist das Team wirklich? Man übt sich in Understatement, trotz Platz 29 in der Weltrangliste. Warum steht nicht einer auf und sagt: Sollten wir uns nicht für die EM qualifizieren, wäre das aufgrund der Qualität eine ziemliche Blamage.

Baumgartlinger: Weil man Blamage nie sagen darf und im Fußball nichts normal ist. Alle tun sich schwer. Wir haben sicher Qualität und einen Wiedererkennungswert, sind aber nach wie vor in der Lage, schlechte Spiele abzuliefern. Die Weltrangliste interessiert niemanden, sie ist maximal ein Indiz dafür, dass der Weg stimmt.

Standard: Was hat sich in der Ära Marcel Koller am meisten verändert? Ist es ein Vorteil, dass er als Schweizer nicht betriebsblind ist?

Baumgartlinger: Das wäre unfair österreichischen Trainern gegenüber. Auch Dietmar Constantini hatte gute Phasen, viele Spieler, meine Person inklusive, konnten sich entwickeln. Koller hat den Luxus, dass er aus dem Vollen schöpfen kann. Da ist es egal, woher einer kommt. Koller hat klare Linien und Strukturen reingebracht, er setzt auf einen Stamm. Eine Konstante in der Philosophie tut gut, jeder weiß, was ihn erwartet und was er zu tun hat.

Standard: Der österreichische Fußball ist gespalten. Die Nationalmannschaft boomt, die Liga darbt. Liegt es auch daran, dass viele Teamspieler in der Bundesliga selten oder nie zu sehen waren? Auch Sie gingen als 13-Jähriger zu 1860 München.

Baumgartlinger: Man kann die Zuschauer nicht zwingen, zu den Meisterschaftsspielen zu kommen. Das Flair des Teams kommt in Wiener Neustadt halt nicht rüber. Die österreichische Liga ist gut für Jungprofis, die Ausbildung ist hervorragend. 2009 bin ich bei der Austria gelandet, habe von Wien aus den Durchbruch geschafft. Bei Junuzovic, Dragovic oder Klein war es genauso. Es gibt nicht den einen richtigen Weg. Es gib viele Wege. Auch falsche.

Standard: Fußballprofi, ein Traumberuf?

Baumgartlinger: Ja. Ich schätze, was ich habe, kann von meinem Hobby gut leben. Natürlich ist Fußball auch eine Scheinwelt, es passieren seltsame Dinge. Die Stadien werden einerseits immer luxuriöser, andererseits sind rassistische Vorfälle und Ausschreitungen nicht wegzubringen. Der Fußball spiegelt die Situation wider. Rassismus sollte allgemein keinen Platz in der Gesellschaft haben, im Fußball ist es besonders traurig, einfach armselig.

Standard: Sie sagten, Verletzungen seien normal. Ist man sich der Endlichkeit bewusst, oder muss man diese Gedanken beiseiteschieben?

Baumgartlinger: Das muss dir früh bewusst sein. Ich habe in der Jugend unzählige Fußballer gesehen, die talentierter waren als ich und gescheitert sind. Die meisten schaffen es nicht, nur ansatzweise Geld zu verdienen. Einige verletzen sich schwer, bei anderen war es die eine oder andere Party zu viel. Du musst in der Lage sein, Drucksituationen zu bewältigen.

Standard: Wohin soll Ihre Reise noch führen?

Baumgartlinger: Mein Vertrag in Mainz endet im Sommer. Man muss Dinge auf sich zukommen lassen, mein Plan sieht vor, noch zehn Jahre aktiv zu sein. Eine Stärke von mir ist, richtige Entscheidungen zu treffen. Ich will Fußball spielen, Kurzeinsätze lehne ich ab. Weil ich laufen möchte. (Christian Hackl, DER STANDARD, 08./09.11.2014)