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In Zusammenhang mit dem größten Polizeifolter-Fall der vergangenen Jahrzehnte in Österreich braut sich ein Skandal zusammen: Durch eine Art Hauruck-Schuldumkehr droht der schwer misshandelte Gambier Bakary J. zum Verdächtigen gemacht zu werden.

Denn nunmehr steht der Vorwurf im Raum, Bakary J. - der die Summe an Misshandlungen damals nur knapp überlebte - habe sich eine Augenverletzung selbst zugefügt.

In der Lagerhalle

Zur Erinnerung: Der heute 40-Jährige wurde im April 2006 nach einem abgebrochenen Abschiebeversuch von drei Polizisten vom Schwechater Flughafen in eine Lagerhalle an der Brigittenauer Lände gebracht und dort systematisch misshandelt. Während ein vierter Polizist Schmiere stand, wurde ihm ein Strick um den Hals gelegt. Er wurde geschlagen und mit Füßen getreten.

Der Rädelsführer kündigte dem Gambier an, dass er ihn jetzt, auf der Stelle, ermorden würde, als "sechs Millionen und erstes Opfer" Adolf Hitlers. Anschließend wurde Bakary J. in der Halle mit dem Polizeiauto mehrfach überfahren. Als er wider Erwarten danach noch lebte, brachten ihn die Folterer ins Spital.

Aktenkundige Misshandlungen

Die geschilderten Vorkommnisse sind aktenkundig. Sie bildeten die Grundlage für die rechtskräftige Verurteilung der drei Haupttäter, die überdies aus dem Polizeidienst entlassen worden sind.

Jetzt haben diese drei die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt – unter anderem mit besagtem Augen-Argument. Sollte das zuständige Gericht dem stattgeben: Es wäre der Startschuss für einen Justizskandal.

Vorgeführt und fertiggemacht

Denn durch ein solches Verfahrens würde ein Mann als Zeuge erneut vor Gericht gezerrt, der nach wie vor schwer mit den Folgen der ihm angetanen Folter zu kämpfen hat. Bakary J. würde sprichwörtlich vorgeführt und fertiggemacht. Das wäre grausam.

Als Argument für die Wiederaufnahme verwenden die Ex-Polizisten ein "brisantes Dokument": 2006 habe sich der damalige Wiener Polizeipräsident Peter Stiedl über Bakary J.’s zugeschwollenes rechtes Auge ausgelassen (das auf dem Foto vom Tag nach der Misshandlung zu sehen ist, das diesem Blog beigefügt ist): Der dafür verantwortliche Schlag, so Stiedl könne unmöglich vom Tag davor datieren.

"Österreich" und Krone

Im Vorfeld einer "enthüllenden" Pressekonferenz wurde das Dokument der Zeitung "Österreich" zugespielt. Auch in der "Kronen Zeitung" war zuletzt wiederholt von einem Privatgutachten ähnlichen Inhalts die Rede. Zudem seien die drei Ex-Polizisten von ihrem Dienstgeber zu ihren Geständnissen gedrängt worden.

So wird via vereinigtem Boulevard der Keim des Misstrauens gegen Bakary J. gestreut. Das Motiv dahinter ist Geld: Die rechtskräftig verurteilten Ex-Polizisten wissen, dass das Innenministerium die Entschädigung, die Bakary J. am Ende des immer noch offenen diesbezüglichen Verfahrens zugesprochen bekommen wird, durch Regress von ihnen zurückzufordern gedenkt.

Widerstreitende Interessen

Somit steht der Kampf der Ex-Polizisten um ihre finanzielle Existenz im Widerstreit zu der politischen Errungenschaft, dass in diesem Fall, nach langem Zögern, aber immerhin, Sicherheitsbeamte, die sich eines Menschenrechtsverbrechens schuldig gemacht haben, bestraft und aus dem Dienst entfernt wurden: So weit ist es gediehen in der jahrelangen Causa um die Folter an Bakary J.. (Irene Brickner, derStandard.at., 9.11.2014)

Der Streifen des österreichischen Filmemacher Stefan Lukacs über den Fall Bakary J., VOID, in dem die Vorkommnisse in der Lagehalle minutiös dargestellt werden, steht gratis zum Streamen im Netz bereit.
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