Madrid/Barcelona - "Seit Jahren habe ich auf diesen Moment gewartet. Endlich können wir abstimmen", sagt Josefa. Die 35 Jahre alte Katalanin steht in Barcelona auf dem Schulhof der Antoni Brusi-Grundschule in einer langen Schlange an. Rentner, junge Paaren, Familien mit Kindern werden von freiwilligen Helfern darüber informiert, in welcher Schlange sie sich gemäß ihrem Nachnamen anstellen müssen.
Der Andrang ist groß und immer mehr Menschen strömen auf den Schulhof. Einige tragen gelb-rot gestreifte T-Shirts mit einem blauen Dreieck. Es handelt sich um die Estelada, die katalanische Unabhängigkeitsflagge.
Etwa fünf der insgesamt 7,5 Millionen Einwohner Kataloniens sind am Sonntag in der nordöstlichen Region Spaniens aufgerufen, ihren Wunsch über eine Abspaltung von Spanien zu äußern. Bei der Abstimmung handelt es sich zwar nicht mehr um ein Unabhängigkeits-Referendum wie es im September in Schottland stattfand. Ein solches hatte die katalanische Regionalregierung eigentlich am 9. November durchführen wollen.
Katalonien ein Staat?
Das spanische Verfassungsgericht hatte dies aber Ende September nach einer Klage der spanischen Zentralregierung untersagt. "Doch zumindest können wir heute mit der Volksbefragung beweisen, dass in Katalonien eine große Mehrheit der Bevölkerung für die Unabhängigkeit ist. Wir wollen endlich frei sein", erklärt Josefa. Sie fühle sich vom spanischen Staat sprachlich und kulturell unterdrückt und als Katalanin schikaniert, sagte sie der APA, ohne jedoch wirklich Beispiele für diese Unterdrückung nennen zu können.
Sie nimmt einen Stimmzettel. Auf ihm stehen zwei Fragen: "Wollen Sie, dass Katalonien ein Staat wird?" Wer hier Ja ankreuzt, muss auch auf die zweite Frage antworten: "Wollen Sie, dass dieser Staat unabhängig ist?" Josefa beantwortet beide Fragen mit "Ja". Am Wahltisch, an dem drei freiwillige Helfer sitzen, zeigt sie ihren spanischen Personalausweis vor und wird in eine Datenbank aufgenommen, damit sie nicht noch einmal in einem anderen Wahllokal ihre Stimme abgeben kann. Dann erst darf sie ihren Stimmzettel in die weiße Urne aus Pappe werfen.
Nach ihr wählt auch Gustavo. Der 40-jährige Spanier hat ebenfalls auf die erste Frage mit "Ja" geantwortet, bei der zweiten jedoch mit "Nein" gestimmt. "Ich stamme von den Kanarischen Inseln und möchte nicht das Katalonien sich von Spanien trennt. Doch bin ich für ein föderalistisches Spanien, in dem die Autonomie mehr Rechte hat", sagt Gustavo, der bereits seit über 13 Jahren in Barcelona lebt.
Madrid toleriert Befragung
Mit seiner Meinung dürfte er an diesem Sonntag jedoch zur Minderheit gehören. Zumindest unter denjenigen, die an der Volksbefragung teilnehmen, da viele, die sich gegen die Unabhängigkeit aussprechen, im Vorfeld erklärten, sehr wahrscheinlich nicht abstimmen zu wollen. Nach jüngsten Zeitungsumfragen treten gut 45 Prozent der Bevölkerung für die Unabhängigkeit ein. 49 Prozent wollen jedoch, dass die Region weiterhin zu Spanien gehört.
Obwohl die Volksbefragung eigentlich vom Verfassungsgericht am Dienstag verboten wurde, toleriert Madrid die Befragung, nachdem die katalanische Regionalregierung die Organisation der Abstimmung rund 41.000 freiwilligen Helfern überließ und nur noch die Auszählung der Stimmen übernimmt sowie das Ergebnis verkündet.
Bernhard von Grünberg hofft jedoch, die Abstimmung werde zumindest den vollkommen zum Erliegen gekommenen Dialog zwischen der spanischen Zentralregierung und der separatistischen Regionalregierung wiederbeleben. "Auf jeden Fall ist die Durchführung wichtig, da sie ein demokratisches Grundrecht ist. Madrid darf den Katalanen nicht das Recht auf freie Meinungsäußerung verwähren", erklärte der deutsche SPD-Landtagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen.
"Keine Legitimität"
Von Grünberg gehört einer Internationalen Wahlbeobachterkommission unter Vorsitz des britischen EU-Parlamentariers Ian Duncan an, die von der Regionalregierung eingeladen wurde. Doch auch die Anwesenheit verschiedener EU-Parlamentarier ändert nichts daran, dass die demokratischen Garantien wie bei offiziellen Wahlen und Volksabstimmungen nicht gewährleistet sind. "Es handelt sich weder um ein Referendum noch um eine aussagekräftige Befragung. Die Aktion hat keinerlei Legitimität oder Folgen", stellte Spaniens konservativer Ministerpräsident Mariano Rajoy (PP) noch am Samstag klar.
Auch Artur Mas, Kataloniens nationalistischer Ministerpräsident, erklärte am Sonntag nach seiner Stimmenabgabe, die Befragung sei "nicht die definitive Abstimmung, aber ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin". Mas forderte Rajoy am Sonntag auf, "die Stimme Kataloniens zu hören". Bereits am Montag wolle er erneut Gespräche mit der Zentralregierung in Madrid aufnehmen, um den Unabhängigkeitsprozess voranzutreiben. "Ich hoffe, dass sich heute zeigen wird, dass wir Katalanen unabhängig sein möchten und Madrid uns endlich in einem richtigen Referendum abstimmen lässt", meint auch Josefa und verlässt den Schulhof der Antoni Brusi-Grundschule, um daheim am Fernseher die ersten Schätzungen der Wahlbeteiligung zu verfolgen. (APA, 9.11.2014)