Man sollte sich hüten, als Außenstehender über eine Institution zu schreiben, mit der man seit 30 Jahren nicht mehr viel zu tun hatte. Wenn dies dennoch geschieht, so deshalb, weil der Autor diesem Institut unendlich viel für seinen Berufsweg verdankt und überzeugt ist, dass das Institut in Österreich Zukunft haben sollte.

Das Institut für Höhere Studien (IHS) wurde 1963 nach jahrelangen innenpolitischen, großkoalitionären Querelen mithilfe einer Dotation der amerikanischen Ford-Foundation von einer Million US-Dollar als postgraduales Lehr- und Forschungsinstitut in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gegründet. Der austroamerikanische Soziologe Paul Lazarsfeld war damals treibende Kraft, nachdem es ihm nicht gelungen war, angesichts der tristen Situation der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an den Universitäten qualifizierte österreichische Kandidaten für die von den USA angebotenen Postgraduate-Fellowships an amerikanischen Universitäten zu finden. Nur zur Erinnerung: An der Universität Wien war es damals nicht möglich, Ökonomie, Soziologie oder Politologie zu studieren.

Internationalen Spitzenwissenschafter

Nach mehrjährigen Anlaufschwierigkeiten entwickelte sich das IHS zu einer Kaderschmiede für Wirtschafts- und Sozialwissenschafter. Es zog von Beginn an eine große Zahl begabter und mit internationalem Horizont ausgestatteter Postgraduate-Studenten an, denen Lehrveranstaltungen und Seminare mit internationalen Spitzenwissenschaftern, darunter viele Ex-Österreicher, geboten wurden. Viele Absolventen wählten in der Folge eine wissenschaftliche Karriere und bestimmten damit die Entwicklung der modernen, empirisch und methodisch orientierten Wirtschafts- und Sozialwissenschaften am Institut selbst, vor allem aber an den österreichischen Universitäten.

Diese Erfolge führten dazu, dass dem Institut ein Teil seiner Kernaufgabe abhanden am und von den Universitäten übernommen wurde, nämlich die akademische Aus- und Weiterbildung auf Postgraduate-Niveau. Damit war der Grundstein zu den aktuellen Problemen gelegt, da bis heute die dringend notwendige Neuausrichtung des Instituts von den verantwortlichen Entscheidungsträgern verabsäumt worden ist.

Der geringe Stellenwert, der dem Institut aktuell von der Politik zugemessen wird, zeigt sich auch daran, dass im wichtigsten Entscheidungsgremium, dem Kuratorium, im Gegensatz zu früher kein Minister oder Politiker und kein Spitzenfunktionär der Sozialpartnerschaft vertreten ist. Natürlich könnte man das auch positiv sehen, aber nicht in Österreich, und schon gar nicht, wenn ein Institut in erheblichem Umfang von Subventionen abhängt.

Der scheidende Direktor des IHS, Christian Keuschnigg, hat ein Reformkonzept vorgeschlagen und ist damit im Kuratorium gescheitert. Eine ernsthafte Alternative liegt nicht vor. Dafür werden wieder Stimmen laut, die für eine Zusammenlegung der beiden "Wirtschaftsforschungsinstitute" Wifo und IHS plädieren. Allein, das IHS ist kein "Wirtschaftsforschungsinstitut", seine Aktivitäten überschneiden sich nur zu einem relativ geringen Teil mit jenen des Wifo, allerdings in öffentlichkeitswirksamen Bereichen, wie Prognosen und wirtschaftpolitischer Beratung. Dabei ist es gerade hier besonders wichtig, dass es Wettbewerb gibt und kein Quasimonopol. Das betrifft nicht zuletzt auch die wissenschaftlich-weltanschauliche Grundausrichtung.

Kernkompetenzen

Das IHS war als interdisziplinäres Institut für alle Bereiche der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften konzipiert, es hat diese Interdisziplinarität in der Praxis allerdings kaum gelebt. Dieses Potenzial zu realisieren sollte Kernpunkt jedes neuen Konzeptes sein, weil es einen Mehrwert vor allem in der Projektarbeit darstellt. Und empirische Projektforschung auf methodisch hohem Niveau unter Einbeziehung internationaler Forscher sollte wohl die Kernkompetenz des IHS darstellen. Im Rahmen dieser Projektforschung hätte das Institut auch in Zukunft eine wichtige Ausbildungsfunktion für Postgraduates, die die Universitäten nicht leisten können.

Das bedingt allerdings für die nächsten Jahre ein entsprechendes Verhältnis von Projektgeldern, die durch Aufträge lukriert werden, und Mitteln aus einer öffentlichen Basissubvention. Nur so kann qualitätsvolle angewandte Forschung und Ausbildung sichergestellt und verhindert werden, dass der finanzielle Druck zur hinterherhechelnden Akquisition beliebiger Projekte zwingt.

Am entscheidendsten wird die Person des neuen Direktors sein. Es gibt viele gute Wissenschafter, und es gibt viele gute Manager, aber es gibt nur wenige, die beide Eigenschaften in sich vereinigen und dazu noch öffentlichkeitswirksam agieren können. Und solange keine Klarheit über die zukünftige Ausrichtung des Instituts und seine Finanzierungsbasis besteht, werden sich keine exzellenten Kandidaten finden lassen. Die Verantwortung für die Zukunft des IHS liegt bei der österreichischen Wissenschaftspolitik. Je länger die notwendigen Entscheidungen verzögert werden, desto größeren Schaden wird das Institut erleiden. (Erhard Fürst, DER STANDARD, 10.11.2014)