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Trotz Neins bei Votum: Nicola Sturgeon sitzt fest im Sattel.

Foto: Reuters / Dylan Martinez

Knapp zwei Monate nach der verlorenen Volksabstimmung sind die schottischen Nationalisten eifrig dabei, das Ergebnis zu ihren Gunsten umzudeuten. Wenn die Scottish National Party (SNP) Ende der Woche zu ihrem Parteitag in Perth zusammentritt, kann die neue Parteichefin Nicola Sturgeon auf erstaunliche Erfolge verweisen. Die Mitgliederzahl hat sich binnen Monaten mehr als verdreifacht. In Umfragen bekennt sich eine Mehrheit der Bevölkerung zur Unabhängigkeit, die sie am 18. September noch mit 55:45 Prozent klar ablehnte. Schon ist von einem neuerlichen Referendum die Rede.

Keine Führungsdiskussion

Mit dem bisherigen Parteichef Alex Salmond als Ministerpräsidenten führt die SNP seit 2007 die Regierung in Edinburgh, gestützt auf eine absolute Mehrheit der Mandate im Regionalparlament. Als Salmond nach dem verlorenen Referendum seinen Rücktritt angekündigt hatte, war das Aufrücken der bisherigen Stellvertreterin in Partei und Regierung schnell beschlossen. So diszipliniert stehen Partei und Fraktion hinter Sturgeon, dass niemand eine Kampfkandidatur gegen die Anwältin wagte. In den vergangenen Wochen zog die Frau mit der Helmfrisur und dem eisernen Lächeln in einer Art Triumphzug durchs Land, der Parteitag in Perth dient als Krönungsmesse.

Ganz anders die Verhältnisse in der schottischen Labour-Partei, die über Jahrzehnte die Politik dominierte. Die Landesvorsitzende Joanne Lamont trat Ende Oktober zurück. Als Oppositionsführerin im Edinburgher Landtag hatte sie gegen den charismatischen Salmond den Kürzeren gezogen, in der Unabhängigkeitsdebatte stand sie im Schatten von Ex-Premier Gordon Brown und dessen Finanzminister Alistair Darling.

Saurier und ihre Filialleiterin

Giftig machte Lamont die Londoner Parteizentrale für ihren Abgang verantwortlich: Sie sei von den dortigen "Dinosauriern" als "Filialleiterin" behandelt worden. Jetzt kämpfen drei Kandidaten um die Nachfolge. Nur einer, das frühere Londoner Kabinettsmitglied Jim Murphy, verfügt über ein einigermaßen ausgeprägtes Profil.

Dabei sind Geschlossenheit und Kampfesmut für die alte Arbeiterpartei von entscheidender Bedeutung. Nicht nur Mitgliederschwund macht Labour zu schaffen, auch Umfragen für die im Mai bevorstehende Unterhauswahl kündigen einen Erdrutschsieg der Nationalisten an. Derzeit hält Labour 41 von 59 Mandaten, diese Zahl könnte sich halbieren, was den Machtwechsel in London erheblich unwahrscheinlicher machen würde.

"Ein Hauch von Selbstgefälligkeit"

Genüsslich bohrt Sturgeon in der offenen Wunde. Labour habe Schottland "zu lang schon am Fortkommen gehindert". Dass die Schotten mit einer Rekordbeteiligung von 86 Prozent dem Nationalistentraum der Unabhängigkeit eine Absage erteilt haben, ignoriert die Regierungschefin in spe.

Auf Twitter macht #the45 Furore - das am Sonntag auch von manchen Katalanen genützte Hashtag für die Minderheit der Unabhängigkeitsbefürworter, die sich irgendwie immer noch im Recht fühlen. "Da spürt man einen Hauch von Selbstgefälligkeit", findet der Politologe Gerry Hassan von der Uni West-Schottland. (Sebastian Borger, DER STANDARD, 10.11.2014)