Jetzt bin ich seit gut drei Monaten auf Testo – das ist die Abkürzung für "Testosteron" und somit ein Begriff, der unter Trans*Typen dann doch öfter mit einer gewissen Begeisterung verwendet wird: Schließlich sorgt dieses Hormon bekanntlich für phänotypische Erscheinungen, die wir üblicherweise als "männlich" lesen.

Die Freude über die Veränderungen durch diese zweite Pubertät, die mit einer etwas schmerzhaften, aber langersehnten Spritze begonnen wurde, wird allerdings begleitet von einer irritierenden Unsicherheit in Bezug auf mein soziales Umfeld: Ich kann nun nämlich zunehmend schwer einschätzen, wie ich von gewissen Leuten bezüglich meiner Geschlechtszugehörigkeit wahrgenommen und in weiterer Folge auch von ihnen bezüglich meines Geschlechts"wandels" bewertet werde.

Es tut sich gewissermaßen eine Kluft auf zwischen jenen Leuten, die über mein Trans*Sein Bescheid wissen, und jenen, die nichts wissen – und eben jenen Leuten, von denen ich absolut keine Ahnung habe, ob und was sie alles darüber wissen und wie sie damit umgehen. Wie ihr euch denken könnt, bereitet gerade dieser Umstand das größte Unbehagen: das Unwissen darüber, wer der wissenden und wer der unwissenden Gruppe angehört, sowie die Unklarheit über das Geschlecht, das mir von jenen "unzuordenbaren" Leuten zugeschrieben wird.

Das simple Prinzip der Zweiwertigkeit

Ich bin ja nicht der Einzige, der Dinge gern binär einteilt: Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten gilt als fundamentale Annahme in vielen unserer Auffassungen über die Welt. Dinge können entweder sein oder nicht sein – eine dritte "Zwischenmöglichkeit" gibt’s da nicht. So verhält es sich auch bekanntlich bei unserer Vorstellung über Geschlechter: Wir hören und sagen ständig, es gebe nur entweder männlich oder weiblich, und ignorieren somit den ganzen "Rest", der schließlich unserer etwas willkürlichen Logik widerspricht und alles verkompliziert.

Wir wollen doch eine simple Erklärung für die Realität, am besten eine, die so einfach ist wie das Kopf-oder-Zahl-Prinzip: Beides zugleich geht demnach "natürlich" auch nicht, wie der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch verbietet. Blöd, wenn also die zwei einzigen, sich gegenseitig ausschließenden Werte nicht mehr ausreichen, um etwas zu deuten: So mussten sich einige leider schon mit einem unbestimmten Dritten zufriedengeben, als sie mich fragten, "Bist du denn eigentlich ein Mädchen oder ein Junge?", wenn meine offenbar wenig zufriedenstellende Antwort darauf lautete: "Weiß ich nicht" oder gar "Weder noch".

Foto: Mike

Gesuchte Hinweise und erlösende Worte

Noch irritierender ist es allerdings, wenn die Situation umgedreht ist: Wenn also nicht das Geschlecht einer anderen Person für einen uneindeutig ist, sondern wenn Unklarheit darüber besteht, welche Geschlechtszugehörigkeit einem selbst von anderen zugeschrieben wird.

Tatsächlich habe ich in dieser Lage schon öfter das Bedürfnis verspürt, Menschen in ähnlicher Manier zu fragen: "Bin ich denn für dich eigentlich ein Mädchen oder ein Junge?" Natürlich neige ich dann auch dazu, fast automatisch nach allen möglichen Hinweisen dafür zu suchen, was ich denn nun in den betreffenden sozialen Kontexten gerade "bin". Funktioniert wiederum ähnlich wie das Scanning, das viele von uns ebenfalls automatisch vornehmen, wenn wir uns nicht über die Geschlechtszugehörigkeit einer anderen Person sicher sind – mit dem Unterschied, dass zu diesem Zweck meist die Aufmerksamkeit gegenüber jenen körperlichen Eigenschaften erhöht wird, an denen wir Geschlecht üblicherweise sehr stark festmachen.

Im umgekehrten Fall hingegen muss die Suche nach Hinweisen auf die Repräsentation der eigenen Person durch andere beschränkt werden. Sprache ist dabei, dank ihrer normativen Funktion, leider nach wie vor ein richtig guter Indikator, denn sie zwingt uns sehr bald zur Preisgabe des Geschlechts, das wir einer Person, über die wir gerade sprechen, zuschreiben.

Auch wenn die sprachliche Zwangskodierung von Geschlecht an sich absurd (aber durchaus bezeichnend für unseren Zwang, Personen so schnell und eindeutig wie möglich geschlechtlich einzuteilen) ist: Es ist tatsächlich ein erleichternder Moment, wenn endlich ein Satz geäußert wird, in dem ein männliches Personalpronomen auf mich verweist oder eine direkte Anrede der Form "junger Mann" oder Ähnliches an mich gerichtet wird.

Endlich hat sich der unbehagliche Zustand zwischen "ich werde hier (sprachlich) als männlich erachtet" einerseits und dessen Gegenteil andererseits gelöst. Als wäre eine Münze gefallen, die ganz zu Beginn der Begegnung geworfen wurde und seither frei in der Luft schwebte: Es gilt nun nur noch einer von zwei sich widersprechenden Werten – und in diesem Fall noch dazu der, auf den ich gewettet hätte. (Mike, dieStandard.at, 10.11.2014)