Reisepässe sind die größte Ungerechtigkeit der Welt. Im Vergleich zu den Folgen, die unser Pass (unsere Staatsbürgerschaft) für unsere ökonomischen Chancen hat, verblassen alle anderen Faktoren ökonomischer Ungleichheit – Geschlecht, Bildung, Eltern, etc. Unser Pass bestimmt aber auch, ob wir mit der Bedrohung oder Realität von Krieg, Verfolgung, Seuchen und Hunger leben müssen, oder ein Leben in Sicherheit und Frieden führen können.

Dass ein Pass solche Folgen hat, ist nicht naturgegeben. Es ist das Produkt täglicher politischer Entscheidungen, auch seitens des österreichischen Staates. Entscheidungen, die Grenzen der EU dicht zu machen und tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Und Entscheidungen, die ökonomische Ungleichheit derer aufrecht zu halten, die es trotzdem bis nach Österreich geschafft haben. Etwa, indem AsylwerberInnen verboten wird, einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen.

Aufhebung des Arbeitsverbots

Eine Initiative von SOS Mitmensch, die noch bis 16. November unterschrieben werden kann, will jetzt eine Aufhebung dieses Arbeitsverbots erreichen. Die Regierung scheint eine solche Aufhebung des Arbeitsverbots nicht grundsätzlich abzulehnen, aber Widerstand kommt etwa von Sozialminister Hundstorfer, der sich sorgt, dass Konkurrenz um Arbeitsplätze und der Lohndruck steigen würden.

Sind seine Sorgen berechtigt? Ich glaube nicht, aus zwei Gründen. Erstens ist die Zahl der potentiellen zusätzlichen Arbeitskräfte vernachlässigbar gering. Zweitens zeigt die beste verfügbare Forschung, dass auch wesentlich größere Migrationsströme keine merkliche Auswirkung auf Beschäftigung oder Löhne der einheimischen ArbeitnehmerInnen haben.

Wie viele Asylwerber gibt es in Österreich?

Laut Statistik Austria wurden im Jahr 2013 etwa 17.500 Asylanträge gestellt. Das entspricht 0,22% der österreichischen Bevölkerung, oder 0,3% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Auf jede 330. Person im erwerbsfähigen Alter in Österreich kommt ein Asylantrag. Selbst wenn alle AsylwerberInnen arbeiten dürften, würde das Arbeitsangebot um ein 330tel erhöhen. Die Zahl der AsylwerberInnen in Österreich ist also vernachlässigbar, und schon allein deswegen wären keine großen Folgen einer Aufhebung zu erwarten.

Die ökonomischen Folgen einer Aufhebung des Arbeitsverbots

Trotzdem lohnt es sich zu diskutieren, was die Folgen von Migration mit Arbeitsrecht in ökonomisch relevanteren Größenordnungen wären. Die besten verfügbaren ökonomischen Studien zum Thema beziehen sich auf die USA; grundsätzliche Lektionen lassen sich aber auf Österreich übertragen.

Die Folgen für MigrantInnen selbst sind enorm. Studien wie etwa die von Clemens, Montenegro und Pritchett (Harvard Kennedy School, Weltbank) zeigen, dass eine Arbeitserlaubnis einer Person aus einem ärmeren Land ein bis zu zehnmal (1000 Prozent) höheres reales Arbeitseinkommen ermöglicht, als sie es (mit der gleichen Ausbildung etc.) in ihrem Herkunftsland erzielen könnte. Im Vergleich verblassen alle anderen Faktoren, die Arbeitseinkommen beeinflussen. Die wichtigsten dieser Faktoren, etwa Geschlecht oder Universitätsausbildung, haben Effekte, die sich selten der 50-Prozent-Marke nähern.

Und die Folgen für einheimische Arbeitnehmer?

Die ökonomische Theorie liefert dazu keine klaren Vorhersagen. Es ist zum Beispiel theoretisch möglich, dass manche einheimische Arbeitnehmer schlechter gestellt werden, weil sie mit Migranten um Arbeitsplätze konkurrieren müssen, während andere profitieren, weil ihre Arbeit mehr nachgefragt wird, wenn es mehr Arbeitnehmer in "komplementären" Arbeitsfeldern gibt.

Was sagt die empirische Forschung?

Auch sehr große Migrationsströme haben kaum Folgen für die Löhne oder Arbeitslosigkeit einheimischer Arbeitnehmer. Das wurde von David Card (UC Berkeley) in zahlreichen Studien bestätigt. Im Vergleich verschiedener US-Städte oder Bundesstaaten, die aus historisch zufälligen Gründen unterschiedlich große Zahlen an MigrantInnen aufgenommen haben, lässt sich keinerlei Unterschied in der Entwicklung der Löhne oder der Arbeitslosigkeit feststellen.

Der Grund dafür dürfte zweifach sein: Erstens verschieben sich Güter- und Kapitalströme. Städte und Staaten mit mehr MigrantInnen exportieren mehr und erhalten mehr Investitionen. Zweitens erhöhen MigrantInnen mit Arbeitserlaubnis nicht nur das Arbeitsangebot, sondern auch auch die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Städte und Staaten mit mehr MigrantInnen mit Arbeitserlaubnis erfahren höheres Wachstum der Binnennachfrage.

Diese Ergebnisse legen nahe, dass jene, die für die Interessen einheimischer Arbeitnehmer eintreten, wenig Grund haben, sich gegen eine Aufhebung des Arbeitsverbotes für Asylwerber zu stellen. Den Interessen einheimischer Arbeitnehmer ist mehr gedient, wenn sichergestellt wird, dass Migranten (inklusive Asylwerber) den selben Schutz am Arbeitsmarkt genießen. (Maximilian Kasy, derStandard.at, 11.11.2014)