Seit Freitag vergangener Woche (7. November) gibt es Borissow 2, umgemodelt und neu aufgetankt, der die Geschicke des EU-Problemlands Bulgarien führen soll wie schon Borissow 1 (27. Juli 2009 bis 13. März 2013). Das heißt, besser nicht ganz so wie Borissow 1, denn Boiko Borissows erste Regierungszeit endete bekanntlich mit den größten Straßenprotesten der bis dahin notorisch apathischen Bulgaren und mit dem Scheitern seiner Sparhaushaltspolitik, die zwar viele im Raumschiff Brüssel erfreute, aber die Bulgaren noch weiter verarmen ließ.

Borissow 2 wird das geschickter angehen müssen. Doch das sollte nicht den Fortschritt in der politischen Praxis des Balkan-EU-Lands verdecken, den die neue Regierung von Boiko Borissow darstellt. Erstmals überhaupt seit der Wende zur Demokratie in Bulgarien vor 25 Jahren ist ein Regierungschef ein zweites Mal wiedergewählt worden. Viele glauben auch, Borissow wäre schon ein Sieg zum regulären Ende seiner ersten Amtszeit im Sommer 2013 gelungen, hätte er sich nur früher von seinem Finanzminister Simeon Djankow getrennt (heute Vorstandsmitglied der Putin-Bank VTB) und anschließend mehr Standfestigkeit während der Proteste bewiesen.

Erstmals auch im Nachwende-Bulgarien gibt es eine Koalitionsregierung, die ein schriftlich niedergelegtes Abkommen geschlossen hat - wie anderswo üblich in parlamentarischen Demokratien - und die nicht (ausschließlich) das Ergebnis von Mauscheleien in Hinterzimmern war. Das liegt einerseits daran, dass sich die Koalitionäre in Sofia persönlich nicht sonderlich schätzen und über den Weg trauen; vor allem aber ist der Koalitionsvertrag zwischen Borissows Gerb-Partei und dem kleinen Kakofonie-Klub Reformblock (RB) eine Folge der Demokratieproteste vom Sommer 2013 und des neuerlichen Desasters mit Sozialisten und Türkenpartei. Borissow hat sie nach 2009 zum zweiten Mal geschlagen; seine Partei "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" (Gerb) ist in all den Jahren die stärkste politische Kraft geblieben - auch das ein Novum im Land der Wechselwähler.

Ein Narziss, der leidet

Ein großer Teil der Bulgaren findet sich in Borissow, dem Macho und Ex-Leibwächter, wieder. Der heute 55-Jährige spricht ihre Sprache, er ist keine intellektuelle Kanone und hat auch nicht das geringste Problem damit; er steht mit beiden Beinen auf dem Boden und weicht doch lieber jedem größeren Problem aus, dessen Lösung ihn unbeliebt machen würde; er ist ein Narziss, der leidet, wenn das Volk sich plötzlich abwendet; laut und ungehobelt nach außen, aber weich im Innern.

Borissow hat in seiner ersten Amtszeit wenig getan, um den chronisch defizitären staatlichen Energiesektor auszumisten; er hat wie sein Vorgänger Sergej Stanischew mit der Oligarchenbank KTB zusammengelebt, hat ebenso Skandalernennungen für öffentlichen Ämter zu verantworten gehabt und geheime Audiomitschnitte, die ihn kompromittierten; Borissow hat nur zögerlich und lückenhaft mehr Transparenz ins Justizwesen gebracht, und er hat die Rückerstattung von Mehrwertsteuergeld an bulgarische Unternehmen zurückgehalten, um den Staatshaushalt besser ausschauen zu lassen. Aber Borissow steht irgendwo rechts von der Mitte, und das ist wichtig in einem Land, wo die jungen und die arbeitenden Bevölkerungsschichten in der Regel alles Linke verachten.

Kunewas Rolle

Elf der Minister im neuen Kabinett kommen von Gerb, sechs vom Reformblock - weit mehr Posten, als sich der RB an seinem Wahlergebnis vom vergangenen Oktober eigentlich erhoffen konnte. Bulgarische Kommentatoren sprechen von einem Comeback Iwan Kostows, des konservativen Premiers, der Ende der 1990er-Jahre die sehr umstrittenen Privatisierungen in Bulgarien angetrieben hatte und dann 2001 sogleich die Wahlen verlor.

Kostows Gefolgsleute finden sich in einigen der kleinen Rechtsparteien des RB wieder; aber auch die frühere Unterhändlerin für den EU-Beitritt und spätere EU-Kommissarin Meglena Kunewa gehört mit ihrer Partei zum Reformblock; Kunewa wiederum war auch bei der so umstrittenen Dreierkoalition von Sozialisten, Türkenpartei (Bewegung der Freiheiten und Rechte, DPS) und "Zarenpartei" (die Partei des Exkönigs und -premiers Simeon Sakskoburggotski, NDS) dabei, die 2009 gegen Borissow verlor.

Kunewa ist nun eine von vier stellvertretenden Regierungschefs und für ein neues Ressort EU-Politik und Verwaltungsreform verantwortlich. Auf dem Ticket des RB bleiben auch zwei parteilose Minister in der Regierung, die bereits dem von August bis November amtierenden Interimskabinett angehörten: Justizminister Hristo Iwanow und Außenminister Daniel Mitow, Letzterer ein Thinktank-Politologe, kein Karrierediplomat.

Linkes Spielbein

Dem früheren sozialistischen Außenminister Iwailo Kalfin wiederum gelang das Kunststück, auch in der neuen Regierung von Borissow zu sitzen. Er ist ebenfalls einer der Vizepremiers und führt ein neues Ressort für Sozialpolitik und Bevölkerungsentwicklung (Auswanderung, Abwanderung vom Land und Geburtenrückgang sind ein großes Thema in Bulgarien). Kalfin vertritt die linke Alternative für eine Wiedergeburt Bulgariens (ABV), eine Partei, die sich von den Sozialisten abspaltete und nun die Regierung Borissow unterstützt, ebenso wie die rechtsnationalistische Patriotische Front, die allerdings nicht ins Kabinett wollte.

Die ABV ist ein Projekt des früheren sozialistischen Staatschefs Georgi Parwanow, dem nach Ende seiner Amtszeit 2011 nicht der Weg zurück an die Parteispitze gelang; die ABV entstand im Protestsommer 2013, offenbar in Absprache zwischen Parwanow und Borissow als Projekt zur Mehrheitsbeschaffung für den nunmehrigen Premier. Aber da sind wir schon wieder in den Hinterzimmern der bulgarischen Politik.