In Zeiten der Kaiser verließ sich das chinesische Reich auf eine Art Magnetismus der Mitte: Alle Barbaren rund um das unbestrittene Zentrum der Welt, so glaubte man bei Hofe in Peking auch noch nach der gewaltsamen Öffnung Chinas durch die Briten 1842, würden sich dem Kaiser ganz automatisch als tributpflichtige Vasallen unterwerfen.

Diese Einschätzung erwies sich, zurückhaltend formuliert, als unzutreffend. Statt Huldigungen zu erhalten, versank China mit den letzten Kaisern in Aufständen, Seuchen, Hungersnöten, Kolonialismus und einem über Jahrzehnte andauernden Bürgerkrieg. Nach dem Tod Maos und mit den Reformen Deng Xiaopings begann sich das Land langsam zu erholen. Und erst heute befindet sich Peking - nach gut 150 Jahren permanenter Demütigungen - erstmals seit langer Zeit wieder in einer Position der Stärke.

Diese Stärke und ein neuer geopolitischer Ansatz der kommunistischen Nachfahren der chinesischen Kaiser lassen sich beim Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (Apec) gut beobachten: Die neuen Mandarine in Peking warten nicht, bis Bittsteller freiwillig zu ihnen kommen. Sie locken mit Geld, Marktchancen und der Aufmerksamkeit einer kommenden Großmacht. Und wenn es sein muss, machen sie auch gute Miene zum bösen Spiel.

Mit sauren Gesichtern, aber immerhin, reichten einander Präsident Xi Jingping und Japans Premier Shinzo Abe in Peking die Hand - erstmals überhaupt und nach gut zweijähriger "heißer" Eiszeit im Streit um die Senkakku-/Diaoyu-Inseln. Beide Seiten können derzeit keinen Territorialkonflikt brauchen, zu verwoben sind insbesondere die Wirtschaftsinteressen Pekings und Tokios.

Mit Südkorea (von dem manche Japaner behaupten, es lasse sich von China kaufen) schließt die chinesische Führung einen weitreichenden Freihandelsvertrag ab. Und nebenbei verständigt man sich über den besten Umgang mit dem schwer zu kalkulierenden Schwager im Norden der koreanischen Halbinsel. Mit den Russen werden Energielieferverträge vereinbart. Dazu kommen ein 40-Milliarden-Dollar-Paket, das die Handelsbeziehungen asiatischer Nationen zu China verbessern soll ("neue Seidenstraße"), die eben in Schanghai gegründete Asiatische Entwicklungsbank der Brics-Staaten und die Öffnung chinesischer Kapitalmärkte für Ausländer.

Diese ökonomischen Schritte zeugen neben einer beinahe frenetischen Aufrüstung der Volksbefreiungsarmee vom Ausbau der Einflusssphäre einer einst isolationistischen Großmacht. China genügt sich in Zukunft nicht mehr selbst. Es will eine regionale und eine internationale Rolle spielen.

Die vom reichhaltigen Angebot auf dem internationalen Krisentableau abgelenkten Vereinigten Staaten von Amerika kommen unterdessen kaum nach im Kräftemessen im Pazifik. Dabei weiß Washington genau, dass nicht der Konflikt mit Russland oder der Terrormiliz IS entscheidend sein wird über Krieg und Frieden im 21. Jahrhundert, sondern ein so nüchternes wie realpolitisch robustes Management der Beziehungen zu Peking.

Ob die Allianzen mit Japan, den Philippinen und Vietnam (!) sowie Indien und Indonesien ausreichen und ob das Transpazifische Partnerschaftsabkommen TPP, von dem China explizit ausgenommen ist, ein ausreichend scharfes Werkzeug gegen den neuen Magnetismus der Mitte sind, es muss sich erst weisen. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 11.11.2014)