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Aufgeheizte Stimmung am 9.11. im Stadion.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Ich bin ein Anhänger der europäischen Fankultur, wie man sie etwa in Österreich, Deutschland oder Italien erleben kann. Ich finde, eine gewisse Spannung und Rivalität soll es im Stadion geben, auch wenn ich selbst bei Stadionbesuchen immer auf der relativ ruhigen Längsseite sitze. Lautstarke Sprechchöre, Einpeitscher mit Megaphonen, Trommeln und bengalische Feuer erzeugen eine tolle Atmosphäre. Ich finde es nicht so schlimm, wenn Austria-Fans über "grüne Parasiten" singen und Rapid-Fans Flaggen schwenken mit einem violetten Schweinekopf im Fadenkreuz.

Vergleich zu den USA

In New York sah ich mir die Knicks und die Rangers im Madison Square Garden an. Wenn der Medienwürfel klatschende Hände anzeigt, um das Publikum zu animieren, eine Computerstimme "Let’s go Knicks" ruft, in der Pause die "Kiss-Camera" durchs Publikum schwenkt und Cheerleaders tanzen, dann ist das keine prickelnde und spannende Stadionatmosphäre, sondern eine x-beliebige Unterhaltungsshow. Vor einigen Jahren sah ich ein Match der Premiere League und trotz des tollen Stadions hat mich die Stimmung ebenfalls nicht überwältigt.

Keine organisierten Fans, keine Choreographien, wenig gemeinsame Sprechchöre. Vor Kurzem sah ich mir im Camp Nou ein FC Barcelona-Spiel an. Imposantes Stadion, aber die Stimmung - laut einem Insider aufgrund vieler alter, traditionsbewusster Menschen, die den Besuch als katalanische Verpflichtung sehen, und zahlreicher Touristen - am Tiefpunkt. Hinter dem Tor standen ca. 200 organisierte Fans, bei 70.000 Besuchern! Zusammenfassend finde ich, dass es nicht oberste Prämisse sein muss, dass ein Stadionbesuch kleinkindgerecht ist.

Rapid vs. Austria

Aber der Derby-Besuch Rapid gegen Austria am 9.11. gibt mir dann doch sehr zu denken. Vorab: Ich bin Austria-Fan, nicht fanatisch, aber Fan. Zu erkennen ausschließlich an einem Schal. Drei neutrale Freunde und ich haben spontan entschieden, zum Match zu fahren. Wir sind zwei Stunden vorher zum Stadion, um Schlangen beim Kartenkauf zu vermeiden.

Am Stadion, mit einem violetten Schal dekoriert, angekommen, fand ich bei den diversen Gastro-Ständen bereits hunderte Rapid-Fans vor. Beim Gang zur Kassa hatte ich den Eindruck, dass der gesamte Stadionvorplatz seine Augen auf mich richtete und mich wahrscheinlich für einen suizidgefährdeten Wahnsinnigen hielt. Einer musste mir persönlich auch sehr eindringlich mitteilen, dass ganz Wien "komplett anti-violett" ist.

Kartenkauf als Nervenkitzel

Ok, dieser Gang zur Kassa hatte einen gewissen Nervenkitzel. Im Stadion saß ich im "neutralen" Sektor E, am Rande zum Sektor F, dem Fansektor der Austrianer. Bei Spielbeginn hatte ein junger Rapidler Mitte 20 das unbedingte Bedürfnis zur Absperrung Richtung Austria-Sektor zu gehen, um mit seinen Fingern und seinem "Tod und Hass dem FAK"-Schal den "Gästen" seine eher geringe Wertschätzung ihnen gegenüber mitzuteilen.

Als der junge Mann von den Austrianern erblickt wurde, sahen sich diese sofort veranlasst, Richtung Absperrung zu laufen und wie verrückt am Gitter herumzuhüpfen und dabei den Rapidler aufforderten näher zu kommen. Dieser kam der Einladung gerne nach und schon wurden neben uns non-verbal brachiale Argumente ausgetauscht.

Leuchtraketen werden auf Kinder geschossen

Gegen Ende der ersten Halbzeit glaubten die Austrianer Leuchtraketen Richtung neutralen Sektor E abschießen zu müssen. Wenn man so nahe dran ist und sieht wie diese inmitten von Kindern einschlagen, dann stellt man sich gewisse Sinn- bzw. Intelligenzfragen.

Das ziemlich abartige Bedürfnis der Austrianer Raketen auf Kinder abzuschießen wurde von den "Lonsdale"-Rapidlern in Zusammenarbeit mit ihren für dieses Match eingeladenen rechten Freunden von Ferencvaros Budapest zum Anlass genommen, den gesamten Sektor E, teilweise mit schwarzer Sturmhaube verkleidet, Richtung Absperrung Sektor E/F entlang zu laufen und ihre "Fankollegen" der Austria zum Rendezvous zu bitten.

Natürlich genau dort, wo ich und meine Freunde ihre Plätze hatten. Wir nahmen diese Entwicklung ebenfalls zum Anlass zu laufen, allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Ich mit Austria-Schal quasi gegen den Strom grün-weißer Hooligans. Schon wieder Nervenkitzel!

Wir mussten uns verstecken

Nachdem wir uns 20 Min im 1. Rang verstecken mussten und vor mir zurückkehrende vermummte Rapidler und Ungarn auftauchten, sagte mir mein natürlicher Überlebenstrieb meinen Schal nun unter der Jacke zu verstecken. Ich weiß, feig, aber ich habe einem betrunkenen, aggressiven, vermummten Hooligan, frisch von der Schlacht mit der Polizei zurückgekehrt, ins Auge geblickt.

Bierdusche und Fanschal verstecken

Sagen wir so, ich wollte ja nur ein Match sehen. Die Freude über das spätere 3:0 für die Austria drückte sich nur noch innerlich aus, da jubelnde Austrianer im Sektor E neben mir Mitten im unsommerlichen November mit Bierduschen bedacht wurden. Am Schluss zogen wieder einige Rapidler Richtung Austria-Sektor, es galt für mich schnell das Stadion zu verlassen und die Jacke weit über den Schal gezogen per U–Bahn heimzufahren.

Vorbei an einer Familie, wo eine Frau und ein kleiner Sohn einen scheinbar sehr sturen Mann beinahe rührend anflehten seinen Austriaschal zu verstecken. Er wollte aber mutiger sein als ich. Alltag beim großen Wiener Derby! Das Spiel endete 2:3! (Mario Bolzer, derStandard.at, 11.11.2014)