Seit es die moderne Wissenschaft gibt, ist sie verbunden mit einem Anspruch auf objektive Allgemeingültigkeit. Das Bild des Wissenschafters, der aus der entfernten Beobachterperspektive auf die Welt blickt und sie unbeteiligt, objektiv betrachtet, wurde immer wieder in verschiedenen Ausformungen starkgemacht - oder kritisiert. Die Sozialwissenschafterin Michaela Moser zählt dabei zweifellos zu Zweiteren. "Manchmal wird immer noch so getan, als könnte die Wissenschaft ganz objektiv sein, doch diese absolute Objektivität gibt es nicht", sagt sie.
Auch als Wissenschafter könne man sich nicht "aus der Gesellschaft herausnehmen". Dass persönliche Einstellungen und Interessen in die Forschung einfließen, sei "unvermeidbar". Den distanzierten, unbeteiligten Wissenschafter gibt es in Mosers Verständnis nicht - und sie möchte so eine Wissenschafterin wohl auch gar nicht sein.
Ihre - wie sie sagt "ungewöhnliche" - wissenschaftliche Karriere begann Moser mit einem Theologiestudium. Schnell erkannte sie ihr Interesse für Fragen der Armut und Gerechtigkeit - und das nicht nur theoretisch. Sie arbeitete in Jugendorganisationen und sozialen Einrichtungen, bis sie einige Jahre später ein philosophisches Doktorat über die Bewältigung von Frauenarmut an die Universität zurückbrachte. "Mir wurde schon gesagt, dass man mit so einer Biografie nie in die Champions League der Forschung kommen kann. Aber ich finde die Relevanz der eigenen Forschung wichtiger als eine großartige akademische Karriere", sagt Moser.
Mittlerweile ist die 46-Jährige FH-Professorin an der Fachhochschule St. Pölten am Department Gesundheit und Soziales und wissenschaftliche Mitarbeiterin am dortigen Ilse-Arlt-Institut für Soziale Inklusionsforschung.
Ihr ursprünglicher Fokus - die Armutsbekämpfung - hat sich im Laufe der Zeit immer mehr verbreitert. Nun interessiert sie sich dafür, wie die Strukturen einer Gesellschaft insgesamt verändert werden müssen, damit sie nicht für soziale Ausgrenzungen anfällig ist - man spricht von Inklusionsforschung.
Transparentes soziales Engagement
"Wenn man Ausgrenzung bekämpft, sollte man sich überlegen, was getan werden kann, damit eine Gesellschaft in ihrer Vielheit funktioniert", sagt Moser. Es geht dabei darum, Strategien zu finden, wie alle Personen sich unabhängig von ihren unterschiedlichen Herkünften und Möglichkeiten in die Gesellschaft einbringen können. Wichtig ist ihr dabei, dass ihr soziales Engagement transparent ist und ihre persönliche Positionierung auch in ihrer wissenschaftlichen Arbeit nicht verheimlicht wird.
Auch privat ist sie ständig mit dem Thema Teilhabe und Inklusion konfrontiert. Seit knapp einem Jahr lebt sie in einem kooperativen Wohnprojekt im zweiten Wiener Gemeindebezirk, das von 60 Erwachsenen und 30 Kindern gemeinschaftlich geplant und selbstverwaltet wird.
Dort gebe es "jede Woche irgendetwas zu tun" - etwa Gartenarbeit, Reinigung, Arbeitsgruppen oder Kochen. Letzte Woche stand Estrich-Einlassen auf dem Programm. "Mein tägliches Leben wirft mir deswegen immer wieder Fragen in die Forschung", sagt Moser. Und andererseits könne sie "wissenschaftliche Erkenntnisse in der täglichen Praxis ausprobieren". (Tanja Traxler, DER STANDARD, 12.11.2014)