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Demonstranten fordern Präsident Peñas Rücktritt.

Foto: EPA/FRANCISCA MEZA

Mexiko-Stadt/Puebla - Politiker, die mit Kartellen arbeiten und unschuldige Studenten brutal ermorden lassen, Demonstranten, die den Nationalpalast anzünden und den Rücktritt des Staatschefs fordern: Es ist die schlimmste Krise Mexikos seit dem Amtsantritt von Präsident Enrique Peña Nieto vor fast zwei Jahren.

Dass er den Fall erst als "lokales Problem" abgetan hatte und einen Monat hatte verstreichen lassen, bevor er die Eltern der Studenten empfing, kreiden ihm viele Mexikaner an. Es sind weniger die Ermittlungen, die nach sechs Wochen immerhin 74 Verhaftete und einen plausibel rekonstruierten Tathergang hervorbrachten.

Vielmehr kontrastiert Peñas "business as usual" brutal mit dem Schmerz der Eltern der 43 Ermordeten und mit der Wut junger Mexikaner über einen Staat, der ihnen außer schlecht bezahlten Jobs, Gewalt und Korruption keine Zukunft bietet.

95 Prozent aller Straftaten nicht geahndet

Dass im Bundesstaat Guerrero Politik, Justiz, Polizei und organisiertes Verbrechen unter einer Decke stecken, ist keine Ausnahme. In Mexiko werden 95 Prozent aller Straftaten nicht geahndet. "Das Rechtssystem ist so ausgelegt, dass es rational ist, Gesetze zu verletzen", sagt der in Oxford lehrende Politologe Agustín Basave. Der Willkür, der Korruption und dem Machtmissbrauch werden Tor und Tür geöffnet.

Es mangelt an politischen Initiativen, wie solche Verflechtungen vermieden werden können. Die regierende Partei der Institutionellen Revolution (PRI) stolperte gerade in einen Korruptionsskandal um die Vergabe einer Lizenz zum Bau eines Schnellzugs.

Die linke Partei der Demokratischen Revolution (PRD), der der Bürgermeister angehörte, der den Schießbefehl gab, zerfrisst sich in Schuldzuweisungen. Einzig die konservative Partei der Nationalen Aktion (PAN) brachte ein Antikorruptionsgesetz im Kongress ein.

Reformen gefordert

Nötig wäre, diese Krise für längst überfällige Reformen zu nutzen, fordert der Drogenexperte Rubén Aguilar. "Es gibt kein Vertrauen mehr zwischen den Bürgern und den Politikern. Um das wiederherzustellen, brauchen wir keine politisch korrekten Sonntagsreden."

Was zu tun wäre, haben Experten längst ausgearbeitet: Die Schaffung einer einzigen Polizeitruppe statt hunderter, schlecht bezahlter, schlecht ausgebildeter Gemeinde-, Staats- und sonstiger Polizeitruppen; die Säuberung und Professionalisierung des Justizapparats; ein Parteienfinanzierungsgesetz; die Abschaffung der Immunität.

Doch die linken Studenten und Aktivisten, die auf die Straße gehen, habe kein Konzept außer Maximalforderungen wie den Rücktritt des Präsidenten. Und sie werden zunehmend von radikalen Krawallmachern vereinnahmt.

Das Gros der Gesellschaft verhält sich bislang eher apathisch. Die meisten haben sich längst mit der Korruption und dem organisierten Verbrechen arrangiert, aus Angst, aus Gleichgültigkeit, Egoismus oder Habgier. In der Tatnacht verweigerten das Militär, Taxifahrer, Ärzte und Nachbarn den verfolgten und verletzten Studenten ihre Hilfe. Nötig wäre ein neuer Gesellschaftsvertrag. (Sandra Weiss, DER STANDARD, 12.11.2014)