Es war nur eine kleine japanische Demonstration nationalen Stolzes auf chinesischem Boden, aber eine bedeutungsvolle Geste. Als Regierungschef Shinzo Abe im Pekinger "New Otani"-Hotel am Dienstagabend seine Pressekonferenz zum Abschluss der Asien-Pazifik-Wirtschaftskonferenz (Apec) gab, hatte seine Botschaft für ihn die Staatsfahne Japans im Raum aufgestellt. Abe verbeugte sich vor ihr, bevor er sich den Fragen der Journalisten stellte.
Chinas Staatschef und Apec-Gastgeber Xi Jinping hatte ihm am Tag zuvor diese Gelegenheit nicht geben wollen. Abe war der einzige unter den von Xi einzeln zum bilateralen Gespräch empfangenen Staatsgästen, für den die Fahne seines Landes nicht aufgestellt wurde. Es war das erste direkte Treffen zwischen ihnen. Kurz nachdem Xi und Abe fast zeitgleich 2012 in ihr Amt kamen brach die Eiszeit zwischen Peking und Tokio aus.
Beide Länder stritten fast schon gefährlicher Weise über ihre territorialen Ansprüche auf Inseln im ostchinesischen Meer, über Tokios Kriegsschuld gegenüber China und die provozierenden Besuche Abes im Kriegsverbrecher Ahnenschrein Yasukini, wo auch Kriegsverbrechern gedacht wird. In einer vergifteten Atmosphäre des Mißtrauens warfen sie sich gegenseitig militärische Aufrüstung und Kriegstreiberei vor.
Halbstündige Begegnung
Xi wollte bei seinem ersten Treffen mit Abe , das "nur auf Ersuchen Tokios zustandekam", wie Pekings Außenministerium betont, nicht auch noch Japans Fahne dabei haben. Obwohl ihre halbstündige Begegnung als Durchbruch und Zeichen erster Entspannung zwischen den einstigen Kriegsgegnern und heute Vertretern der zweitgrößten und drittgrößten Volkswirtschaften der Welt gefeiert wurden, tat sich Xi sichtlich schwer, mit Abe warm zu werden. Er kanzelte ihn stattdessen dafür ab, dass viele ungelöste Probleme noch zwischen ihnen stünden: "Wir sind uns kristallklar, was zwischen uns richtig oder falsch und was gerade oder verbogen ist." Er hoffe, dass sich Japan künftig bedachtsam und vorsichtig verhalte, wenn es um seine Militär- und Sicherheitspolitik geht.
Abe dagegen lobte vor der Presse das stattgefundene Treffen mit Xi als "Meilenstein." Er bedauere, dass es so lange dauerte, bis es dazu kam. Seit seinem Amtsantritt sei China diesmal das fünfzigste Land geworden, das er besuchte. Pathetisch rief er aus: "Japan und China: Wir brauchen einander." Abe sagte nicht, ob er oder Xi Abstriche an ihrer früherer Haltung machten, als sie sich trafen, Doch sie hätten sich offenbar darauf verständigt, wieder zum Ausgangspunkt ihrer Beziehungen zurückzukehren, bevor die vereisten.
Hoffnung auf Dialog
Wichtigstes Ergebnis sei eine Vereinbarung, "Kanäle zwischen ihnen zur Kommunikation vor allem zu maritimen Problemen" zu eröffnen, um Spannungen auf dem Meer von vorneherein verhindern zu können. Als Lösungen für Probleme "hoffen wir mehrere Dialoge aufzunehmen."
Bei der Apec stellte sich Japan auch hinter die Pläne von Xi, den Anstoß zur Gründung einer einheitlichen, übergeordnete, neue Freihandelszone im ganz Großraum Asien-Pazifik (FTAAP) zu geben. Das stehe nicht im Widerspruch zu der von den USA inititierten Neugründung einer Pazifischen Freihandelszone (TPP), der auch Japan unter den insgesamt 12 Mitgliederstaaten angehört. Abe sagte, Japan wolle, dass die konkreten TPP-Verhandlungen "zu einem Abkommen führen. Wir sind fast fertig damit." Japan, das vor 25 Jahren zu den Gründungsmitgliedern der Apec gehörte, unterstütze aber auch die Pläne für eine FTAPP, die Staatschef Xi diesmal auf die Tagesordnung des Apec-Gipfels ganz oben gesetzt hat.
Über die TPP-Zone hinaus "sehen wir APEC auf dem Weg zur Realisierung einer übergeordneten FTAPP voranschreiten, um einen noch größeren Markt zu schaffen." Auf diesem Pekinger Gipfel "gelang es uns, den Plan dazu zu zeichnen."
Staatschef Xi hatte auf seiner Pressekonferenz am Dienstagnachmittag die einheitlich auch mit Einwilligung der USA gefallenen Beschlüsse zur langfristigen Gründung einer FTAPP als so wichtig bezeichnet, dass sie künftig "in die Geschichtsbücher eingehen werden." Xi legte keinen Zeitpunkt mehr fest, obwohl China früher das Jahr 2025 genannt hatte. Er drängte aber, keine Zeit zu verlieren. "Wir sollten so rasch wie möglich damit beginnen, unsere Vision von der Freihandelszone in die Realität umzusetzen".
Vorbild Europa
Als nächster Schritt sollen die Bedingungen erforscht werden, die für eine Gründung der FTAPP-Freihandelszone berücksichtigt werden müssen. Die Apec-Staaten, in denen 40 Prozent der Weltbevölkerung leben und 57 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung erzeugt werden, wandeln nun auf den Spuren der Handels- und Zollunion Europas. Sie wollen die ineffiziente Fragmentierung und Zersplitterung ihrer 26 regionalen Volkswirtschaften aufheben, die untereinander mit 56 bilateralen und multilateralen Freihandelspakten "wie eine Schüssel Spaghetti" verflochten sind.
Doch nicht nur Gastgeber China nutzte seinen mit beispiellosem Pomp, Feuerwerk und zu Milliardenkosten arrangierten Apec-Gipfel, um sich als tonangebende Nation im asiastisch-pazifischen Chor vorzustellen. Auch der vom Westen isolierte russische Präsident Wladimir Putin suchte sich beim Apec-Gipfel freizuschwimmen. Abe sagte, er habe Putin getroffen und mit ihm auch über die Ukraine, "ungeschminkt" gesprochen.
Putin plant Japan-Reise
Erstmals sei dabei das Thema des seit 70 Jahren seit Japans Kapitulation ausstehenden Friedensvertrag zwischen Tokio und Moskau berührt worden. Abe enthüllte, dass beide Seiten über einen Staatsbesuch Putins im kommenden Jahr in Japan nachdenken. Thema seiner Gespräche mit Putin sei auch das Nordkorea-Problem gewesen. Japan, Russland, China, USA und Südkorea gehörten einst den von Nordkorea 2008 abgebrochenen Pekinger Sechs-Parteien-Gesprächen an.
Auch zwischen Obama und Putin kam es am Rande des Apec-Treffens zu mehreren kurzen Gesprächen, bei denen es um die Lage in Iran, Syrien und die Ukraine gegangen sei. Das bestätigten inzwischen Pressesprecher des Präsidenten. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte "Interfax", dass beide Präsidenten über ihre angespannten Beziehungen gesprochen hätten.
Obama nahm am Dienstag abend seine bilateralen Gipfelgespräche mit Pekings Staatschef Xi in Peking auf. Dieser hat den US-Präsidenten zum informellen Staatsbesuch am Mittwoch im Anschluss an Apec eingeladen. Xi ging mit dem US-Präsidenten als Auftakt in den kaiserlichen Parks von Zhongnanhai spazieren, dem Pekinger Amtssitz von Partei und Staat. Am kommenden Wochenende treffen sich alle Beteiligten von Xi, Obama, Putin bis Abe wieder - beim G20-Gipfel in Australien. (Johnny Erling, derStandard.at, 11.11.2014)