Kawakawa auf der Nordinsel Neuseelands: 1.200 Einwohner hat der Ort, einen Fleischhauer, einen Supermarkt, ein Hotel, eine Tankstelle - und eine öffentliche Toilette. Viele haben von ihr gehört, gar nicht wenige kommen nur ihretwegen. Einmal im Leben wollen sie das auffällige Gebäude an der Gillies Street zwischen Gemeindeverwaltung und Bibliothek benutzen.

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Friedrich Stowasser alias Friedensreich Hundertwasser hat in Kawakawa, 200 Ki-lometer nördlich von Auckland, einen Ort des Rückzugs für sein Schaffen gefunden. 1974 erwarb der Architekt und Künstler eine Farm in Kaurinui ganz in der Nähe von Kawakawa und wurde neuseeländischer Staatsbürger. Hier fühlte er sich zu Hause, weit weg vom Wiener Kunstbetrieb mit seinen Vernissagen und Retrospektiven. Aus Dankbarkeit für die Ruhe habe er seiner Gemeinde eben einen stillen Ort gewidmet - die berühmte Hundertwasser-Toilette, sagt Thomas Lauterbach.

1999 eröffnet

Der Maler aus Deutschland lebt seit vielen Jahren in Kawakawa und war mit Hundertwasser bis zu dessen Tod im Jahr 2000 befreundet. Und so wie es der Wiener war, ist auch der 63-Jährige mittlerweile neuseeländischer Staatsbürger. "Ich weiß noch, als mir Friedensreich in Venedig davon erzählt hat: Thomas, stell dir vor, ich entwerfe eine Toilette! Eine Kirche habe ich schon gemacht, jetzt darf ich eine Toilette planen", erinnert sich Lauterbach.

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1999 wurde der öffentliche Hundertwasser-Abort eröffnet. "Durch dieses Gebäude hat sich für Kawakawa viel verändert", sagt Johnston Davis. Der Pensionist ist Vorsitzender des Hundertwasser-Trusts in Kawakawa. Er kümmert sich um das regionale Erbe des Künstlers: "Jetzt sind wir auch außerhalb Neuseelands bekannt. Die Leute kommen aus der ganzen Welt, aus Europa, den USA und Asien. Das bedeutete einen enormen Aufschwung für uns."

Stiller Ort

Im 19. und 20. Jahrhundert war Kawakawa Schnittpunkt der Eisenbahnlinien für Kohlentransporte. Doch der Abbau ist längst eingestellt worden, danach wurde es still im Ort. Dafür kommen heute die Touristen - wegen der sagenhaften Landschaft an der Bay of Islands und der berühmten Bedürfnisanstalt mit Wickeltisch. Auch daran hatte Hundertwasser gedacht. Gut 100.000 Euro gab die Gemeinde für den Bau der Toiletten aus, Hundertwasser legte aus eigener Tasche noch mehr als das Doppelte drauf, erzählt Davis. Schon deshalb seien die Bewohner von Kawakawa stolz auf ihren "Handertwoser". Die meisten hätten ihn für einen zwar exzentrischen, aber liebenswerten Europäer gehalten.

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Hundertwasser galt als Grenzgänger - zwischen Europa und Neuseeland, zwi-schen Malerei, Architektur und Botanik, zwischen Kunst und Kommerz. Inspiration und Ideengeber ist ihm stets die Natur gewesen. Er war ein Verächter gerader Linien und rechter Winkel, die stereotype Gestaltung öffentlicher Räume und Gebäude war ihm ein Graus: "Verbrecherisch ist die Benützung des Lineals in der Architektur!", formulierte er in seinem "Verschimmelungsmanifest" und berief sich auf einen allerhöchsten Zeugen: "Auch Gott kennt keine geraden Wege!"

An der Bay of Islands musste sich Hundertwasser keine Sorgen machen um unnatürlich gerade Linien: In abertausenden sattgrünen Windungen legt sich der subtropische Naturhafen um 144 Inseln. Mit dem Waikare Inlet im Süden sowie dem Kerikeri Inlet und dem Te Puna Inlet im Nordwesten bildet er weitere Buchten und lässt die Halbinseln mit ihren vielen Fingern wie Hände nach dem Pazifischen Ozean greifen. Ein Paradies für Wassersportler.

Latrine laut Lektüre

In der Hundertwasser-Herrentoilette von Kawakawa wird unterdessen Wasser gezogen - Touristen aus Malaysia, die nur wegen der bunt gestalteten Latrine kamen. Von dem Klo haben sie in einem Reiseführer gelesen. Alle lächeln, manche kichern. "Die Toilette ist wie eine Kunstgalerie!", sagt einer. Eine typische Hundertwasser-Galerie eben: Anstelle von glatter Sterilität gibt es hier unebene Wände und Böden, verspielte bunte Säulen und ein wellenförmiges, mit Gras bepflanztes Dach. "War ein Vergnügen für die Handwerker, die so etwas noch nie gemacht hatten. Die waren gewohnt, immer nur gerade Linien zu gestalten. Die ganze Gemeinde hat mitgeholfen", erinnert sich Lauterbach, "natürlich auch Friedensreich."

Die charakteristischen Bottle-Wände von Hundertwasser sind in diesem Gebäude ebenfalls zu finden. Eine Ansammlung farbiger Flaschen in unterschiedlicher Größe, wild kombiniert und in die Wände einzementiert. Durch sie dringt natürliches Licht in die Nasszelle. Rund um die Waschbecken: ein stilisierter Fisch aus Kacheln. Viele Kunstkritiker konnten mit den bunten Spiralen und Farbflächen nicht viel anfangen und bezeichneten das architektonische Werk als Kitsch. Hundertwasser-Touristen sehen das in der Regel anders, vor allem, wenn ein Kunstwerk so überaus praktisch ist. Die Malaysier machen sich nach der kunstsinnigen Pinkelpause jedenfalls wieder auf zum Reisebus. Schnell werden ein paar Selfies mit dem Smartphone geschossen, dann verschwinden sie.

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10.000 Besucher gehen jeden Monat auf dieses Klo, hört man aus Kawakawa. Ob sie nun tatsächlich "müssen" oder künstlerisches Interesse sie herführt, weist die Gemeindestatistik nicht aus. Doch gar von 300.000 jährlich, die nicht müssen, sondern wollen - anschauen nämlich -, spricht der Prosper Northland Trust. Schon seit Jahren gibt es demnach Pläne für ein weiteres neuseeländisches Hundertwasser-Projekt, das der Trust Anfang November unter neuen Vorzeichen wiederbelebt hat. Bislang sollte in Kawakawa ein Park für Workshops, ein Café, eine Galerie und ein Turm mit goldener Zwiebelkuppe nach Hundertwassers Entwürfen entstehen. Angeblich hat er diese kurz vor seinem Tod als Skizze auf eine Serviette gekritzelt. Doch manche in Kawakawa hatten zwar das bunte Vermächtnis von "ihrem Frederick" schätzen gelernt, fürchteten aber die Umsetzung als "Hundertwasser-Disneyland".

Ein Hundertwasser-Kulturzentrum soll entstehen

Der Trust schlug daher eine neue Variante vor: In Whangarei, 50 Kilometer südlich von Kawakawa und direkt am Meer, soll ein Kulturzentrum entstehen, dass sich Hundertwasser mit den Maori teilt. Immerhin zählt die Bay of Islands bis heute zu den wichtigsten Siedlungsgebieten der Ureinwohner Neuseelands, und Hundertwassers gesellschaftspolitisches Engagement für die Maori ist bekannt. 15 Monate bis zur Eröffnung des gemeinsamen Zentrums in Whangarei scheinen derzeit realistisch.

Die Gemeinde wird jedenfalls noch eine Zeit lang mit dem einzigen Hundertwasser-Gebäude der südlichen Hemisphäre werben können. Ganz bestimmt aber bis zum 19. November. Da ist Welttoilettentag, den man derweil sehr gut am anderen Ende der Welt verbringen kann. (Saskia Guntermann & Michael Marek, Rondo, DER STANDARD, 14.11.2014)