Von schlechten Rezensionen lassen sich "Globalszenario"-Autoren kaum irritieren, sagt Ulf Hannerz. "Sie finden lieber neue Insider-Tipps."

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Ulf Hannerz

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STANDARD: Sie haben sich mit Autoren beschäftigt, die über "globale Szenarien" schreiben und so auch versuchen, die Zukunft vorherzusagen - Samuel Huntington oder Francis Fukuyama etwa. Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie?

Hannerz: Sie kommen meist aus akademischen Kreisen. Sie versuchen, Öffentlichkeit zu finden. Und sie wollen die Politik beeinflussen - eine ganze Reihe ist ja auch zwischen der Universität und Ämtern in US-Regierungen hin und her gewechselt. Journalisten wie etwa Thomas Friedman sind sicher froh, wenn die Präsidenten Obama oder Bush ihre Bücher in der Hand halten. Es ist eine Landschaft in einem Grenzbereich, in dem diese Leute besser zu Hause sind als andere Forscher.

STANDARD: Studien zeigen immer wieder, dass solche Experten - wie übrigens auch Journalisten - kaum besser darin sind, Vorhersagen zu treffen als interessierte Durchschnittsbürger. Wie gehen diese Leute damit um?

Hannerz: Sie ziehen es sicher vor, das, was sie in der Vergangenheit gesagt haben, zu ignorieren. Aber den Zynismus beiseite: Es erstaunt mich schon, dass sie nie wirklich darauf zurückkommen, was sie vor zehn oder fünfzehn Jahren gesagt haben. Robert Kaplan sieht sich nicht um und sagt: "The Coming Anarchy? - Da hatte ich unrecht." Oder Thomas Friedman: "Gar so flach ist die Welt auch wieder nicht." Sie finden lieber neue Szenarien und "Insider-Tipps".

STANDARD: Wenn es nicht darum geht, recht zu haben - was wäre dann Erfolg?

Hannerz: Ich würde sagen, Schlüsselphrasen in das Bewusstsein zu bringen. Obwohl die akademische Bewertung ziemlich negativ war, war der Kampf der Kulturen von Samuel Huntington doch ein Erfolg. Vor ein paar Monaten hörte ich den Chef der (rechtsnationalen, Anm.) Schwedendemokraten im Radio so über das Buch sprechen, als behandle es bewiesene Fakten.

STANDARD: Diese Leute kommen aus der Wissenschaft. Wie gehen akademische Kollegenkreise damit um, wenn ihre Vorhersagen sich als falsch erweisen?

Hannerz: Entscheider in Washington wurden neulich befragt, welchen Politikwissenschaftern sie persönlich trauen: Es waren immer noch Huntington, Fukuyama, Joseph Nye und so weiter. Bezüglich Fukuyama kann man wohl mittlerweile sicher sagen, dass die Geschichte 1989 nicht zu Ende war. Aber er macht weiter. Erst vor ein paar Tagen habe ich ihn bei einer Veranstaltung zum Jubiläum des Mauerfalls gesehen, als Autorität für die Zeit danach. Teils sehen sie sich auch als Warner, die helfen, Dinge zu vermeiden. Ein Service nach dem Motto: Und was macht uns jetzt als Nächstes Sorgen?

STANDARD: Wie sehen denn die Auslandskorrespondenten, über deren Arbeit Sie auch geforscht haben, die Globalszenarien-Schreiber?

Hannerz: Ich kann mich an ein Gespräch mit einem New York Times -Korrespondenten erinnern, der damals gerade in Istanbul mit der Arbeit angefangen hatte. Er sagte zu mir: "Man muss dieses Huntington-Zeug ja nicht unbedingt glauben, aber Istanbul scheint jetzt trotzdem ein ziemlich wichtiger Ort zu werden, in dem die Kulturen aufeinandertreffen." Da wurde ich erstmals hellhörig und dachte mir, da könnte ich forschen. Bei Anthropologen ist es sonst ja oft so, dass sie sich in gewisser Konkurrenz zu Journalisten sehen; gelegentlich gibt es Antagonismus, weil wir ähnliche Felder bearbeiten.

STANDARD: Was war Ihr Eindruck?

Hannerz: Leute, die sich wirklich als echte Korrespondenten sehen, sind ziemlich ernste Personen. Geschichten über Leute, die nur in Hotelbars herumsitzen und am Abend etwas tippen - die kann ich nicht bestätigen. Vor allem dann, wenn sie einige Jahre an einem bestimmten Ort sind, können sie eine Menge Wissen ansammeln, obwohl sie nicht wahnsinnig viel in 90 Sekunden Radiobericht oder in 1000 Zeichen unterbringen. Deshalb schreiben wohl auch so viele danach Bücher. (Manuel Escher, DER STANDARD, 13.11.2014)