Bild nicht mehr verfügbar.

Mit Plakaten, Blasmusik und Schweinsbraten erwarteten Anhänger in Belgrad den wegen Kriegsverbrechen angeklagten Vojislav Seselj.

Foto: AP / Darko Vojinovic

Wie ein Held wurde Vojislav Seselj am Dienstag auf dem Belgrader Flughafen empfangen. Seine Anhänger jubelten ihm begeistert zu; hunderte Reporter, Fernsehkameras - all das hatte er sichtlich vermisst. Kein einziger Regierungsvertreter war anwesend.

Der wegen Leberkrebs vorläufig freigelassene Häftling fuhr nicht etwa zum Krankenhaus, sondern direkt in die Zentrale seiner ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS). So krank sei er nun auch wieder nicht, soll er einem Journalisten im Flugzeug gesagt haben. Seine Priorität sei noch immer die Politik. Für kommenden Samstag hat die SRS eine Großkundgebung im Zentrum Belgrads angekündigt.

Empfang mit Schweinsbraten

Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag hat aus dem Fall Seselj einen Präzedenzfall gemacht: Ohne Urteil und ohne jegliche Verpflichtungen wurde er "aus humanitären Gründen" nach Hause geschickt. Seselj lehnte es ab, sich auf die üblichen Bedingungen für vorübergehende Freilassung einzulassen. Nur ein Richter, Mandiage Niang, stimmte gegen diese Entscheidung des zuständigen Gerichtshofs. Zu erwarten ist, dass sich Seselj um irgendwelche Verordnungen wenig kümmern wird.

Seselj hatte sich vor fast zwölf Jahren freiwillig dem ICTY gestellt. Nun verabschiedete sich der selbsternannte "Woiwode der Tschetniks" feierlich von seinen Anhängern, die ihn mit Musik aus diversen Blechblasinstrumenten und mit Schweinsbraten empfangen hatten: "Ich gehe, um dieses illegale, serbenfeindliche, amerikanische Tribunal zu besiegen."

Die Anklage gegen den ehemaligen Anführer paramilitärischer Einheiten wurde wegen Kriegsverbrechen in Kroatien und Bosnien sowie wegen Hassreden erhoben. Seine Partei überließ er zum Abschied dem heutigen Staatspräsidenten Serbiens Tomislav Nikolic und dem aktuellen Regierungschef Aleksandar Vucic. Jahrelang dienten sie als sein Sprachrohr, die damals starke SRS befehligte er persönlich aus seiner Gefängniszelle.

Sieben Jahre lang wartete Seselj auf den Prozessbeginn, weshalb das Tribunal der Kritik von Menschenrechtlern ausgesetzt war. Als später das Verfahren nur schleppend vorankam, wurde auch unter Juristen Kritik laut. Seselj verteidigte sich selbst und hatte keine Probleme, den oftmals schwachen Zeugen der Anklage entgegenzutreten. Den zu Beginn in Serbien live übertragenen Prozess missbrauchte er als seine politische Reality-Show, er wurde mehrmals wegen Missachtung des Gerichts gerügt.

Fragen um Relevanz

Mit seiner trotzigen Haltung vor den Richtern wiederholte er immer wieder, dass er den Gerichtshof nicht anerkenne, dass er bereit sei, im Gefängnis zu sterben, und dass der Prozess gegen ihn eine Farce sei. Seine Anhänger vergötterten ihn als einen Märtyrer, die SRS war lange die stärkste Einzelpartei in Serbien, schaffte es aber trotzdem nicht, an die Macht zu kommen.

Und dann führten Nikolic und Vucic vor rund sieben Jahren einen Putsch in der SRS durch. Von Ultranationalisten, die mit Seselj an der Spitze serbisches Territorium in Kroatien zurückerobern wollten, verwandelten sie sich über Nacht in proeuropäische Politiker, gründeten die Serbische Fortschrittspartei (SNS) und regieren nun als Partner von Brüssel und Washington mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament. Mit offensichtlichem Unbehagen erwarten sie ihren politischen Ziehvater Ses elj, der als hochintelligent und unvorhersehbar gilt. Man kennt sich, man war befreundet, und man fürchtet nun, dass Seselj Rache nehmen könnte.

Während die einen in Serbien nun meinen, dass Seselj vom Lauf der Zeit überholt worden sei, meinen andere Landsleute, dass er seinen früheren Untergebenen Nikolic und Vucic unangenehm werden könnte. Der ICTY ist ihn jedenfalls los. Es scheint fast, als habe Seselj letzten Endes tatsächlich noch gesiegt. (Andrej Ivanji aus Belgrad, DER STANDARD, 13.11.2014)