Es gibt angenehmere Termine als diesen. Das ist der deutschen Grünen-Chefin Simone Peter deutlich anzusehen, als sie am Mittwoch zur Pressekonferenz erscheint. An ihrer Seite: der Göttinger Parteienforscher Franz Walter. Er hat, gemeinsam mit Stephan Klecha, untersucht, welchen Einfluss Pädophile in den 1980er-Jahren auf das Parteiprogramm der Grünen hatten.
Nun liegt der Abschlussbericht zu jenem Thema vor, das die Grünen während des gesamten Bundestagswahlkampfs 2013 gequält und letztendlich bei der Wahl im September 2013 auch etliche Stimmen gekostet hat - nachdem die früheren erotischen Schwärmereien des grünen Europa-Politikers Daniel Cohn-Bendit für Kinder bekannt geworden waren.
Walter kann zumindest in einem Punkt beruhigen: "Es gibt keinen Promi-Kopf, der rollen wird." Auch nicht jener des ehemaligen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin, der Anfang der 1980er-Jahre in Göttingen für ein Wahlprogramm verantwortlich war, das Sex mit Kindern straflos stellen wollte.
Dennoch kommen die Grünen in der Studie nicht gut weg. Zwar verweisen die Forscher darauf, dass es die Forderung nach Straffreiheit für Sex mit Kindern schon vor Gründung der Grünen gegeben habe und dies keine Erfindung der Grünen sei; doch die junge Partei habe sich die Neigungen von Pädophilen durchaus zu eigen gemacht, um ihr Wählerpotenzial zu maximieren. Die Forscher erwähnen auch, dass es in der Partei anfangs viele Stimmen gab, die straffreien Sex mit Minderjährigen ganz klar ablehnten. Dennoch schaffte es die Forderung zwischen 1979 und 1985 in die Programme folgender Grün-Verbände und Wählergemeinschaften: Köln, Nordrhein-Westfalen, Göttingen, Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, Hannover und Hamburg.
Walter sieht daher eine "erhebliche Verantwortung" bei den Grünen. Denn schließlich wirkten die Parteien in Deutschland gemäß Grundgesetz an der Willensbildung des Volkes mit. Pikiert zeigte er sich über die mangelnde Gesprächsbereitschaft mancher Altgrüner mit ihm: "Kaum einer sagt etwas, wenige versuchen zu erläutern. Etliche machten die Schotten dicht, legten bei Telefonaten auf, drohten sogar." Grünen-Chefin Peter entschuldigte sich einmal mehr und erklärte: "Wir bedauern zutiefst, dass Täter unsere Beschlüsse als Legitimation ihrer Taten empfunden haben können."
Im Waziristan der Partei
Nächste Woche werden die Grünen das Thema Pädophilie auf ihrem Parteitag besprechen. Nicht nur diesbezüglich sind heftige Debatten zu erwarten. Zurzeit tobt der Flügelkampf zwischen Linken und Realos wieder besonders heftig. Unlängst lästerte Trittin, das grün-rot regierte Baden-Württemberg sei das "Waziristan der Grünen".
Waziristan, eine Bergregion im Nordwesten Pakistans, ist als Rückzugsort der afghanischen Taliban bekannt. Trittin empfindet offenbar die Realos in Baden-Württemberg, rund um Ministerpräsident Winfried Kretschmann als die Radikalen. Zudem lautet der Name des hessischen Vize-Ministerpräsidenten Tarek Al-Wazir. Auch dieser zählt zu den Realos, er regiert mit der CDU.
Nun ist nicht nur die Empörung über Trittin groß, Kretschmann goss auch noch inhaltlich Öl ins Feuer und erklärte, die Grünen müssten endlich eine Wirtschaftspartei werden. Frust herrscht auch im Bundestag. Viele empfinden die Fraktionschefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt als zu blass. Es dürfte ein turbulenter Parteitag werden. (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, 13.11.2014)